Vier Tage im August
sinken und die Hände durchs kühle Wasser schleifen, die Männer saßen ausgepumpt auf ihren Rollsitzen, Alice sah ihre von der Anstrengung des Wettkampfs gezeichneten Gesichter, hörte ihr Keuchen. Rennen reihte sich an Rennen, Sieg an Sieg: In der Besetzung Brink, Blume, Fontana und Spring verlor der Vierer mit Steuerfrau keine einzige Regatta, das Boot gewann die Meisterschaft auf dem Rotsee. Und brach nach der Katastrophe am selben Tag auseinander. Es kenterte auf eine unglückliche Weise. Als vier jubelnde Ruderer ihre Steuerfrau mit Schwung vom Bootssteg ins Wasser warfen und diese nicht mehr auftauchte.
Die Rudergemeinde stand unter Schock, überall betretene Gesichter, als Alice Braun, eingewickelt in eine im Sonnenlicht gleißende Aluminiumdecke, in den Hubschrauber der Rettungswacht gebracht und weggeflogen wurde. Im Dröhnen der Rotoren fiel es kaum auf, dass die meisten der Zuschauer fassungslos herumstanden und dem Hubschrauber hinterherblickten. Die Stimmung war gekippt, die Festlaune verdorben. Der Pilot zog in einer langen, ansteigenden Kurve davon und ließ die Ruderfamilie in ihrer Unsicherheit und Betäubung am Rotsee zurück. Der Hubschrauber war ein sich rasch entfernendes Fluggerät, bald ein Punkt am Himmel und Sekunden später aufgelöst, nicht mehr zu sehen, verschwunden.
Der Himmel war blau, der Himmel war leer.
ALS DAS UNGLÜCK GESCHAH , hielt sich Leo Zimny bereits in Bangkok auf. Bevor ihn Brink zu den Ruderern geholt und ihm eine sportliche Zukunft versprochen hatte, war Thailand schon sein Ziel gewesen. Der Vorschlag, in den Skiff umzusteigen, hatte ihn erzürnt. Überhaupt nichts spornte ihn an, im Skiff, allein mit sich selbst, die mit Bojen markierte Wasserbahn hinunterzurudern, er entdeckte im Einerboot keine Herausforderung. Elmar Brink hatte den Kampfsportler zum Ruderer umgepolt. Leo vom Kampf Mann gegen Mann weggelotst und in seine Mannschaft eingebaut. Nun war der Kämpfer Leo wieder erwacht, er hatte nichts vergessen und nichts verlernt. Wenn man einen starken Gegner vor sich hatte, zählte nur die Gegenwart. Das bessere Auge. Ein Kampf konnte im Bruchteil einer Sekunde entschieden werden, und eine Sekunde genügte auch, um durch die Ewigkeit zu reisen.
Leo reiste mit dem Motorroller herum, ein Einzelgänger, der zu rastlos war, um lange an einem Ort zu verweilen. Das Geld verband ihn mit den Menschen. Er kaufte Essen auf dem Markt, Früchte und Reisgerichte und gebratenes Fleisch. Er gab Geld und nahm Geld. Thailand, das ihm so fremd und vertraut war wie er sich selbst, verleibte ihn sich ein, und Buddha weckte ihn auf, Buddhas Fußabdruck, über den er beinahe gestolpert war, ein Außerirdischer, fühlte Leo, hatte da seine Marke gesetzt. Lauter Eindrücke, die ihn überwältigten. In Thailand blendete Leo Zimny aus, dass er vor wenigen Monaten noch vom Wahn besessen gewesen war, Elmar Brink habe ihn um die Zukunft betrogen.
Im Flugzeug, als die Maschine in der Eiseskälte über der buckligen Wolkenödnis Richtung Osten flog, in die Ferne hinein, litt Leo noch unter der Wunde. Noch nie in seinem Leben hatten sich so viel Wut und Hass in ihm aufgestaut. Elmar Brink, Ivo Blume, Paul Fontana und er, Leo Zimny, waren keine Freunde gewesen. Einmal mehr hatte er sich täuschen lassen und ein Verhältnis falsch eingeschätzt. Nach seinem albernen Angriff auf die Taube gewannen die drei vermeintlichen Freunde ihre Rennen auch ohne ihn– und ohne ihn, ihren Freund, zu vermissen. Sie hatten Leo Zimny hinter sich zurückgelassen, den Freund ohne Zimperlichkeit ersetzt.
Man sitzt im selben Boot, trainiert für das gemeinsame Ziel. Trotzdem sind die Männer Fremde für dich. Und du bist immer ein Fremder für sie geblieben.
Leo Zimny hatte seine Wohnung aufgelöst, seine Anstellung als Fahrer einer Großbäckerei gekündigt. Er hatte einen Flug nach Bangkok gebucht und das Land verlassen. Er bereiste Thailand ohne Plan, gesteuert vom Wunsch zu vergessen. Die Schmach zu vergessen, die erlittene Zurückweisung. Alice Braun zu vergessen. Seine Liebe zu begraben. Die Familie, die er hätte gründen können, wenn…
Im Thailand stülpte Leo sein Leben um und passte sich den neuen Umständen an wie ein Chamäleon. Es wimmelte in Bangkok von Menschen. Keiner war besonders wichtig, alle wurden sie aufgerieben. In den fremden thailändischen Städten glaubte Leo, in einer neuen Haut zu stecken, einen Schutzanzug zu tragen, der ihn unberührbar und gläsern machte. Die Vergangenheit war
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