Vier Tage im August
manchmal damit nervte. Vaterunser. Die Versuchung ist riesig. Und Tom war ein Mensch, der sich nur ungern an der Hand nehmen ließ, lieber verirrte er sich im Labyrinth, als von einem Scout durchgeschleust zu werden.
Noch zwei, drei Punkte waren zu prüfen, sollte sich die Verknüpfung bestätigen, spitzte sich alles zu. Erst dann würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als die Polizei zu verständigen. Das sah er ein. Doch es war noch nicht so weit. Bevor Tom bei der Kriminalpolizei anklopfte, um ein paar wichtige Aussagen zu machen, wollte er drei Orte aufsuchen. Das Bootshaus des Ruderclubs, das Pflegeheim, in dem Alice Braun am 21.Juli gestorben war, und den Friedhof, auf dem sie nun begraben lag. In der Geschichte, von deren Stimmigkeit Tom inzwischen ausging, waren es wichtige Schauplätze; falls er richtig kombiniert hatte, würden die Besuche seine Theorie bestärken. Lag er falsch, verschwand das trügerische Bild wie ein Schatten, wenn das Licht ausging.
Du bist ein anmaßender Kerl, Tom, mit diesen Worten stauchte ihn Jara am späten Abend zusammen, als er sie einweihte. Sie saßen in der Küche und teilten eine riesige Pizza, die Tom mitgebracht hatte.
Ich befehle dir, alle Beobachtungen der Polizei mitzuteilen. Ansonsten machst du dich strafbar.
Ich bin nicht dein Befehlsempfänger, antwortete Tom.
Du sollst nicht spekulieren.
Die Verbrechensbekämpfung war nun einmal die Aufgabe der Polizei. Darauf beharrte Jara.
Du handelst fahrlässig, du begibst dich in Gefahr.
Halb so schlimm, ich saß ja nicht im Vierer.
Mach keine Witze.
Jara war hartnäckig und nannte Tom den Namen des zuständigen Kommissars. Robert Notz. Sie nahm seine Hand, drehte sie sacht um und schrieb die Nummer in einem Anflug von Zärtlichkeit und Versöhnungsbereitschaft mit dem Kugelschreiber auf die helle Innenseite seines Handgelenks.
AUF DEM GEPFLEGTEN GELÄNDE des Ruderclubs hatte Tom sich schon lange nicht mehr aufgehalten. Sein letzter Besuch, zusammen mit Ivo, lag Jahre zurück. Der Anblick löste zwar Erinnerungen aus, sie blieben seltsam verschwommen. Er war als Kind hier herumgetollt, hatte jedoch in der Ruderfamilie nie eine eigene Kontur gehabt. Er trug einen berühmten Namen, man schaute mit Wohlwollen auf den kleinen Tomy Blume. Doch für den Rennbetrieb war er als Junge zu schmächtig gewesen und zu wenig kämpferisch. Die Atmosphäre, das Licht, die Gerüche waren haften geblieben, das große Ganze.
Eine grüne Hecke schottete die Anlage blickdicht von der Straße ab. Auf dem Rasen, der an den See stieß, standen alte Bäume; ihre Kronen sammelten das Sonnenlicht.
Immer noch die Gittertür, doch sie knirschte nicht mehr. Mittagszeit. Tom ging den vertrauten Plattenweg zum Clubhaus hinunter. Im Inneren des Bootshauses, an dem er vorbeikam, bereiteten die Ruderer einen Start vor. Ein Skiff hielt beim Steg an, eine paar Jugendliche dehnten unter Anleitung ihrer Trainerin ein Gummiband, sie imitierten Ruderbewegungen, und eine Mannschaft, die ihre Trainingsfahrt beendet hatte, trottete abgekämpft zum Clubhaus hinüber, um sich mit einem Getränk zu erfrischen oder einen Happen zu essen.
Im Clubhaus erkannte ihn keiner. Tom hatte sich vorgenommen, an diesem Ort seinen Namen nur preiszugeben, wenn er danach gefragt werden sollte. Auf dem Tisch, an dem einige ältere Herren Eistee tranken, lag die aufgeschlagene Zeitung. Elmar Brink war das alles beherrschende Thema. Jeder im Clubhaus hatte ihn persönlich gekannt. Sie hatten viele Fragen, es gab keine zufriedenstellenden Antworten. Alle waren so entsetzt wie überrascht, eben noch saß Elmar Brink hier, letzte Woche, und hatte den Salatteller mit Ei und Croutons bestellt, man verwünschte den Täter, kramte in Erinnerungen, schaute auf den See hinaus, auf das gekräuselte, vom Bug der zurückkehrenden Boote geteilte Wasser, und auf die Sturzflüge der Möwen.
Die älteren Clubmitglieder erinnerten sich an die Zeit, als Elmar und Ivo, die Ruderlegenden, die Helden im Doppelzweier, allen anderen Teams überlegen und unbesiegbar waren.
Tom suchte das Gespräch.
Vielleicht hatten die Herren am Tisch mit Seeblick sich in ihrer Jugend selbst an Brink und Blume gemessen. Sie waren ihnen nicht gewachsen gewesen und von Unterlegenen zu Bewunderern geworden. Brink und Blume, ehrgeizig und kampfstark. Die Großmeister der Planung. Richtige Tiere, Perfektionisten.
Tom wollte wissen, was vor dem Doppelzweier gewesen war, was sich ereignet hatte, als Elmar Brink als
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