Vier Tage im August
Ein Prachtkerl. Mit leicht autistischen Zügen. Die Lippen zusammengepresst. Eine senkrechte Falte teilte die Stirn. Die blonde Mähne, nass, hing neben seinem Gesicht über die Bank und berührte fast den Boden. Mit roher Kraft drückte er das Gewicht hoch. Die Stange, an der die Eisenscheiben befestigt waren, lag quer auf seiner mit Magnesiumpuder eingeriebenen Brust und hinterließ eine Delle im Muskelfleisch. Dicke Adern erschienen am Hals. Die Bizepse prall mit Blut gefüllt. Ein leerer Blick.
Alice begann mit ihm zu sprechen, nahm sich vor, sachlich zu bleiben. Sie habe bei Brink nichts erreicht. Sie habe Elmar nicht umstimmen können, er sei nicht willens, Leo ins Team zurückzuholen. Leo arbeitete weiter mit seinen Gewichten. Alice riet ihm, in den Einer umzusteigen, sie werde ihm dabei helfen, im Skiff habe er mit seinen Fähigkeiten sehr gute Chancen. Leo knallte die Hantel auf die Halterung, richtete sich auf, hockte schwer atmend auf der Lederbank. Alice hatte zu sprechen aufgehört. Ihr könnt mich alle, schnauzte Leo sie an. Er ballte die Fäuste und wurde von einem plötzlichen Weinkrampf geschüttelt. Berührt von seinem Kummer, setzte Alice sich neben ihn, legte den Arm um seine zuckenden Schultern, ihr Ellenbogen verschwand unter seiner schweren Mähne.
Sprang da ein Funke?
Der Hitzkopf stand ihr näher, als sie gedacht, als sie zugegeben hätte. Sie wünschte sich jählings, Leo nicht bloß als Trainerin zu trösten, sondern als Frau. Alice redete auf ihn ein, beschwichtigend, als sei er ein großer Junge. Ihr Mund flüsterte, nah an seinem Ohr, abschließend über das, was geschehen war, aber auch begehrlich. Leo war nicht zu besänftigen. Mit dem Daumen wischte Alice ihm die Tränen aus den Augen und küsste ihn auf den Mund.
Leo hatte sich von allen Ruderern am stärksten mit dem Boot identifiziert, der Vierer war zu seinem Lebensmittelpunkt geworden, wichtiger, als alles andere sonst, und nun gab es da nichts mehr, was wirklich für ihn zählte. Seine Ambition war zerstört, seine Zukunft war zerstört. Er hasste die Ausreden von Elmar Brink, es war ein abgekartetes Spiel, er zürnte diesem Windhund von Mann, unterstellte ihm, er habe ihn wegen Alice ausgesondert und nichts anderes im Sinn gehabt, als einen lästigen Rivalen kaltzustellen, ja, am liebsten hätte er Elmar Brink umgebracht. Ein Stich ins Herz, Ende der Geschichte. Leo glaubte, mit dem Platz im Vierer das Wichtigste verloren zu haben, sogar die Daseinsberechtigung, was war Leo Zimny denn… allein?
Er kam noch ein paar Mal zum Training.
Zerschmetterte voller Wut ein Ruder, er schlug das neue Blatt am Landesteg gegen einen Pfosten aus Beton.
Dann blieb Leo weg.
Schweren Herzens hatte Alice Braun, die Trainerin und Steuerfrau, sich der Anordnung des Chefs gebeugt. Es war falsch, es war ungerecht, sie empfand es als Einmischung in ihre Aufgabe. Das nützte ihr nichts. Elmar Brink behielt das Sagen. Alice, seltsam gereizt, hing dem verschwundenen Leo Zimny nach, eine vergleichbare Unruhe hatte sie niemals empfunden, flattrige Gefühle und ein Puls, der ohne sportliche Anstrengung hochschnellte, als tobte ein Krieg in ihrem Körper.
Die Abstimmung im Boot war perfekt; das musste Alice einräumen. Ihr Argument, mit Leo wäre der Vierer noch schneller, war eine Behauptung; auch das war ihr klar. Trotzdem hätte sie Leo Zimny, den Begabten, den Labilen, dessen Blut allzu schnell aufwallte, ins Boot zurückgeholt. Er vermochte unglaubliche Kräfte zu entfalten, aus ihrer Sicht war Leo Zimny überhaupt nicht zu ersetzen, Leo Zimny, der junge Mann, zu dem sich Alice Braun, als sie ihn im Kraftraum aufzuheitern suchte, auch hingezogen fühlte. Sie mochte ihn, ja, ein Hauch Verliebtheit mutmaßlich, und hätte dies in ihrer Macht als Trainerin und Steuerfrau gelegen, hätte sie ihm nach seiner Verletzungspause ganz bestimmt die Chance zur Rückkehr in das Siegerboot gegeben.
Er rief sie an, wollte sie treffen.
Alice zögerte, nein, nicht jetzt, es war zu kompliziert. Sie hatte hier einen Job, der war wichtig, das Boot…
Sie vertröstete Leo.
Die Liebe musste warten.
Alice hörte nichts mehr von ihm.
Die Renntage verliefen nicht ohne Monotonie, der Vierer zog seine Bahn schnurgerade herunter, die Ruder glitten kraftvoll durchs Wasser, kaum Spritzer, Alice trieb die Männer an, forderte ihnen das Letzte ab, das Ufergelände flog vorbei, am Himmel blieben die kleinen Wolken zurück, und nach dem Zieleinlauf ließ Alice die Arme
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