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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Clair
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alle laut.
    Jetzt im Einsatz zeigte sich, dass wir zwar keine Kompanie waren, die immer streng nach Vorschrift vorging, aber trotzdem sehr gute Arbeit leistete. Die besondere Mischung aus Korpsgeist und individueller Stärke schien unser Erfolgsrezept zu sein. Vielleicht wog es deshalb nicht so schwer, dass ich versucht hatte, mich ein wenig von den anderen abzukapseln. Vielleicht forderte auch nur die hohe Arbeitsbelastung ihren Tribut.
    Ich ließ meinen Blick verstohlen über meine Kameraden gleiten und fragte mich, welchen Eindruck wir mit unseren langen Bärten, wuchernden Haaren und der lockeren Art wohl auf den Rest des Feldlagers ausübten. Wussten die überhaupt um unsere Arbeit, unsere Belastungen? Erst vor ein paar Stunden hatte Mü bekanntgegeben, dass ein junger Soldat im Feldlager geblitzt worden war und nun zweitausend Euro Strafe zahlen sollte. Die Höhe der Strafe wurde am Auslandszuschlag bemessen und sollte abschrecken. Ich fühlte mich wie in einer streng reglementierten, verqueren Welt gefangen, in der steuerfreie Zigaretten und die Pistole im Holster auf Anforderungszettel und die deutsche Straßenverkehrsordnung prallten. Lucky Luke trifft Alice im Feldlagerwunderland.
    Der Tonfall des Chefs wurde wieder ernster.
    Trotzdem liegen noch einige Aufgaben vor uns. Zusammen mit den Spezialkräften, die nachts in die Dörfer gehen und wichtige Führer der Aufständischen festnehmen, haben wir es geschafft, den Druck auf den Feind aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Das Gefecht in Qara Yatim, das uns und den Feind sichtlich überrascht hat, zeigt, dass es uns gelingt, in sein Rückzugsgebiet vorzudringen. Während der nächsten Raumverantwortung hat der Kommandeur eine weitere große Operation in Qara Yatim geplant. Dort werden wir dann eng mit der anderen Infanteriekompanie und mit der afghanischen Armee zusammenarbeiten.
    Während der Befehlsausgabe am Abend vor der besagten Raumverantwortung fiel mir Müs Gesichtsausdruck auf. Unser Zugführer wirkte angespannt und hatte tiefe Falten um den Mund. Sein junges Gesicht war müde und blass. Inzwischen sahen wir ihn kaum noch, er ließ sich nur noch zur Befehlsausgabe vor den Raumverantwortungen blicken. Die restliche Zeit schien er in seinem Container zu verbringen. Nach der Besprechung gingen wir in die milde Abendluft hinaus.
    Das ist doch bescheuert, wetterte TJ. Als wir schon fast das ganze Dorf eingenommen hatten, ham sie uns zurückgepfiffen und jetzt soll’n wir da noch mal hin.
    Und glaub ja nicht, dass die sich diesmal nicht vorbereitet haben, meinte Mica.
    Das Telefonat mit meiner Freundin kurz darauf war so entspannt wie schon lange nicht mehr. Sie schien gelöst und freudig und bereitete mir damit ein gutes Gefühl. Ich brauchte diese Unterstützung.
    Ich habe mir zwei Meerschweinchen gekauft, verkündete sie und hatte dabei so viel Fröhlichkeit in der Stimme, dass ich Gänsehaut bekam.
    Sie sind total klein und süß, berichtete sie. Die eine hab ich Trude genannt, ich möchte, dass du den anderen Namen aussuchst.
    Für einen Augenblick kehrte die Alltagsnormalität in meinen Kopf zurück. Ich fühlte mich wunderbar geborgen, aufgehoben, als Teil eines normalen zivilen Lebens. Ich stellte mir vor, wie meine Freundin mit den Meerschweinchen spielte oder sie einfach nur beobachtete. Ich wünschte mich an diesen Ort, der so unendlich weit von Afghanistan entfernt zu liegen schien, dass ich ein Raumschiff gebraucht hätte, um dorthin zu gelangen. Vor allem aber wischte sie mein Unbehagen beiseite, das in mir aufgekeimt war, als sie von ihrem neuen Freundeskreis erzählte. Es war mir plötzlich egal, dass ich diese Menschen nicht kannte. Wie ein Stromschlag im Kopf wurde mir auf einmal bewusst, wie eifersüchtig ich in der vergangenen Zeit gewesen war. Ich vertraute ihr völlig, tief in mir wusste ich, sie war mir treu. Aber mir war auch klar, dass ich diese Gedanken nicht verhindern konnte. Ein winziger Restzweifel, gegen den ich mich nicht wehren konnte und der durch die Belastungen des Einsatzes verstärkt wurde, wollte sich nicht vertreiben lassen. Doch über diese Gedanken verlor ich am Telefon kein Wort.
    Ich möchte, dass sie Paula heißt, sagte ich leise.
    Drei Tage Routine im Polizeihauptquartier, danach sollte die Operation nach Qara Yatim folgen. Es wurde eine Nachrichtensperre verhängt. Und die Vorgesetzten hatten uns eingeschärft, gegenüber niemandem auch nur ein Sterbenswort über die Operation zu verlieren.
    Die drei Tage

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