Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
Schlag war meine Begeisterung verschwunden. Blitzartig schossen mir die Gedanken durch den Kopf. Würden sie gleich angreifen? Würden sie schon den Ersten in die Luft jagen oder lieber eine Lücke in die Kompanie reißen wollen? Wahrscheinlich greifen sie lieber den Ersten an, um uns nicht zu nah herankommen zu lassen … Meine Gedanken blockierten mich völlig. Ich war nicht in der Lage, auch nur ein Wort zu sprechen. Noch vor kurzem hatte ich diese Aufgabe voller Begeisterung übernommen. Noch vor kurzem war alles anders gewesen. Und jetzt konnte ich kein Wort herausbringen, konnte nur dasitzen und abwarten.
Ich mach das, sagte Mica endlich voller Entschlossenheit.
Ich fühlte mich erleichtert.
Du musst mir noch ein paar taktische Karten kopieren, sagte Muli später, als wir in der Abendsonne im Hof standen. Ich muss die nämlich an den Chef zurückgeben.
Ich nahm die farbigen Stifte, die er mir reichte.
Hast du den Steinhaufen gesehen?, fragte ich ihn.
Klar, hab ich. Die haben nach dem letzten Gefecht die Zufahrtsstraße nach Norden blockiert. Diesmal werden wir sie nicht überraschen können. Die sind vorbereitet, haben ihre Stellungen ausgebaut und verstärkt. Qara Yatim wird uns nicht wieder so leicht in die Hände fallen wie das letzte Mal.
Er teilte mir das völlig unaufgeregt mit, zählte nur Tatsachen auf.
Die Straße wird voll mit Bomben sein, meinte er gelassen. Deshalb schickt uns der Chef als Erste. Wir ham die meiste Erfahrung damit.
Muli wirkte auf mich entschlossener denn je. Er schien sich sogar darauf zu freuen, wieder in den Kampf zu gehen. Ich hatte große Ehrfurcht vor seiner Haltung. Er war fest entschlossen, diesen Einsatz voranzubringen, ihn nicht sinnlos zu beenden. Genau wie unser Chef wollte er Ergebnisse vorweisen. Niemand hätte seine ernsthaften Absichten bezweifelt. Doch dann sah er mich mit diesem seltsamen Blick an, den ich schon einmal an ihm bemerkt hatte.
Weißt du, sagte er leise, ich glaube, dass es diesmal jemanden erwischen wird. Wir hatten unsere Chance, in Qara Yatim aufzuräumen. Aber weil wir zurückgepfiffen wurden, haben wir diese Chance vertan. Und jetzt überraschen wir den Gegner nicht mehr.
Am selben Abend noch bekamen wir Besuch aus dem Feldlager. Der Kompaniefeldwebel, der sich nicht oft draußen blicken ließ, hatte Post und einen großen Grill dabei. Der Abend verlief heiter, alle schienen besonders gut gelaunt zu sein. Das Lachen der Kameraden hallte durch den Hof des Polizeihauptquartiers, jeder scherzte, jeder schien dabei der Lauteste sein zu wollen. Die Flammen warfen einen flackernden Lichtschein an die Wände und erhellten sporadisch die Gesichter der Soldaten. Die bevorstehende Operation lag wie ein Schatten über uns und wurde für ein paar Minuten zur Seite geschoben. Als ich mit meinem Pappteller in der Schlange stand, um mein Steak zu empfangen, erschien mir diese Szene vollkommen unwirklich. Ich kam mir vor wie auf dem Weg zur Henkersmahlzeit.
Der nächste Tag verlief entspannt. Ein paar Stunden auf der Westplatte, Zufahrt und Brücke überwachen. Dann Rückkehr ins Polizeihauptquartier. Nach einer Weile war der ganze Trupp am Fahrzeug versammelt. Wir hatten eine Plane gespannt, um uns vor der Sonne zu schützen. Auf ein paar alten Paletten war unsere Ausrüstung ausgebreitet. Magazine überprüfen, Wassersäcke füllen, Verbandsmaterial bereitlegen. Nährstoffpulver in die Flaschen, Rauchgranaten an die Weste, Munitionsgurte neben das Maschinengewehr. Mit jedem Handgriff wurden die Rucksäcke schwerer.
Denkt dran, dass wir vielleicht mehrere Nächte in Qara Yatim bleiben werden, mahnte Muli.
Warum sprach er immer das aus, was mir am meisten Unbehagen bereitete? Ich wusste, was er ausdrücken wollte, trotzdem wäre es mir lieber gewesen, wenn es nicht offen gesagt wurde. Ich war ziemlich angespannt. Schließlich überlegten wir, ob wir noch Wechselkleidung in die ohnehin übervollen Rucksäcke stopfen sollten.
Wir werden am ersten Tag schon völlig durchgeschwitzt sein. Und die Nächte werden langsam kühler, immerhin haben wir September, meinte Mica.
Jaja, achtundzwanzig statt fünfunddreißig Grad in der Nacht, rief Hardy mit Sarkasmus in der Stimme.
Als ich die Amerikaner besuchte, fiel mir sofort ihre gute Laune auf. Ich hatte schon oft festgestellt, wie gelassen sie diesen schwierigen Situationen entgegensahen. Ich wusste immer noch nicht, ob es nur eine lachende Fassade war. Wenn es so war, spielten sie es verdammt
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