Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
mulmig zumute. Mica und Muli verschwanden plötzlich in dem unübersichtlichen Gelände.
Plötzlich hielt TJ vor mir inne.
Was ist los?, fragte ich nervös.
Ich weiß nicht, aber vorne geht’s nich weiter, erwiderte er, ohne sich umzudrehen.
Ich blickte mich unruhig um, konnte aber außer Mohnpflanzen links und den dichten Büschen rechts von mir nichts erkennen.
Da hörte ich Muli schreien.
Schieß, Mica, schieß!, brüllte er durch den Morgen.
Es knallte. Einmal, zweimal, noch ein paar Mal. Dann herrschte gespenstische Ruhe. Niemand bewegte sich.
Ich war wie gelähmt. Scheiße, dachte ich und konnte mich nicht bewegen. Es war das erste Mal, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte. Dabei wäre es doch eigentlich klar gewesen. Hardy, Simbo, TJ und ich hätten auf Micas und Mulis Höhe einschwenken müssen, um neben ihnen in Position zu gehen. So hatten wir es bis zum Erbrechen geübt. So hatten wir es bisher immer gemacht. In einem Gefecht war es am wichtigsten, dass die trainierten Abläufe funktionierten. Aber jetzt war ich nicht dazu in der Lage.
Ich blickte mich unsicher um, war froh, dass auch Hardy, Simbo und TJ nicht reagiert hatten. Wähnte mich zwischen den Pflanzen in Sicherheit. Und wusste doch, dass es nicht so war.
Nossi hatte reagiert. Er schwenkte mit seinem Trupp ins Mohnfeld, nahm neben mir die Position ein, auf die wir hätten gehen müssen. Er ahnte offenbar, was los war, schimpfte ärgerlich und trieb Jonny, Butch, Dolli und Russo zur Eile an. Als sie zwischen den hohen Pflanzen hockten, wandte er sich an uns.
Ihr sichert nach rechts, schnauzte er.
Ich drehte mich um und fühlte mich beschissen. Dann gab es endlich Informationen von Muli.
Zwei Bewaffnete sind vorne aufgetaucht, Muli hat Mica befohlen, zu schießen, sagte TJ leise.
Nach ein paar Minuten Stille, in denen wir auf unseren Positionen verharrten, hörte ich wieder Nossis Stimme.
Mensch, Muli, schimpfte er. Wir müssen hier aus dem Mohnfeld raus. Also entweder vorwärts oder rückwärts!
Zum ersten Haus waren es nur noch wenige Meter. Als wir uns wieder in Bewegung setzten, konnte niemand sagen, ob Mica getroffen hatte. Schon verschwanden wir unter den hohen Bäumen, die an das Dorf grenzten. Hohe, abweisende Mauern empfingen uns im Schatten, und es war klar, dass wir uns an dem breiten Wassergraben, der sich vor uns auftat, nicht weiter bewegen konnten. Eine schmale Holztür befand sich auf der anderen Seite. Sie durchbrach die Mauer wie eine lockende Pforte. Es war riskant, aber die einzige Möglichkeit, ins Dorf zu kommen, wollten wir nicht den halben Weg zurückmarschieren. Weil wir ganz vorne waren, würden wir auch als Erste dort durch müssen.
Wir stellten uns an der Tür auf. Aus dem Hof drangen Kinderstimmen und das Gackern von Hühnern. Trügerischer Frieden. Die Spannung stieg, als mir eine frische Blutspur auffiel, die vom Wassergraben durch die Tür führte.
Simbo und Hardy, ihr geht mit dem Maschinengewehr am Graben in Stellung, befahl Muli.
Der Rest von uns hatte ebenfalls seine Positionen eingenommen.
Nossi hämmerte gegen die dünne Holztür. Jonny und Mica standen an der Mauer bereit, als sich eine dünne Stimme näherte.
Open the door, this is ISAF, brüllte Nossi und hämmerte wieder.
Es dauerte einen Moment, in dem wir nicht wussten, ob die Person auf der anderen Seite absichtlich so lange brauchte, um den Riegel zu öffnen. Als die Tür aufging, marschierten Mica, Jonny und Nossi in gebeugter Haltung und mit erhobenen Waffen hinein. Sofort drehten sie sich in verschiedene Richtungen, um den Innenhof zu sichern. Muli, TJ, Butch, Dolli und Russo folgten. Ich betrat den Hof als Letzter, weil meine lange Waffe zum Stürmen eines Gebäudes nicht geeignet war.
Im Inneren befand sich ein schmutziger Hof, in dem Müll und wenige Habseligkeiten auf dem Boden verstreut lagen. Ein aufgeregter Mann redete auf Muli ein und rannte unruhig hin und her. Ich überlegte, ob er dem Blutenden freiwillig oder durch Zwang die Tür geöffnet hatte. Hinter uns erschienen Mü und Brandy und gleich darauf der Chef mit einer Gruppe Polizisten an der kleinen Tür. Die Afghanen sollten das Haus durchsuchen. Muli und Nossi führten den Chef in den nächsten Hof und verschwanden hinter einer Ecke. Der kleine Hof drohte durch die Masse der einflutenden Soldaten zu bersten.
Kurzerhand übernahm ich den Rest der Gruppe und teilte sie ein.
Russo, du übernimmst mit Dolli und Butch die Sicherung bei Muli, rief ich.
Er
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