Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
angeboten wurde, wechselten mit Unrat wie Fahrradgerippen, ganzen LKW-Fahrgestellen, alten Handwagen und Bergen aus Hausabfall neben Plastiksäcken. Sogar mit Rost überzogene Reste von offenbar russischen Flugabwehrgeschützen lagen im Graben herum.
Die Menschen zwängten sich an Engstellen zwischen uns und den Häusern durch, als würden sie uns gar nicht wahrnehmen. Andere schauten uns mit einer merkwürdigen Mischung aus Verachtung und Mitleid an. Einige blickten ganz unverhohlen zornig. Aber vor allem jüngere Männer winkten uns zu, viele Kinder hielten den Daumen nach oben. Die Gräben, die die Gesellschaft teilten, schienen keine oberflächliche Unebenheit, sondern sehr tief zu sein. Wir waren nicht nur in ein Kriegsgebiet gefahren, sondern auch in eine neue, exotische Welt. Sie tat sich mit voller Wucht um uns auf, wirkte weder willkommen heißend, noch ablehnend, schien uns einfach nur zur Kenntnis zu nehmen.
Hey, Muli, rief ich nach vorne. Ich glaube irgendwie nicht so richtig, dass wir zwischen dem ganzen Dreck eine Bombe rechtzeitig erkennen.
Ja, das hab ich euch ja gesagt. Es ist fast unmöglich, irgendetwas zu sehen, bevor es knallt. Aber wenn wir eine Weile hier sind, entwickelt ihr irgendwann einen gewissen Instinkt dafür, in welcher Situation wir gerade sind. Und achtet immer auf die Einheimischen. Vorsichtig müssen wir vor allem sein, wenn sie plötzlich alle weg sind.
Die ham hier ja fast nur Toyota Corollas, fiel mir bei der Beobachtung des dichten Verkehrs auf.
Ja, das stimmt, fast jedes Auto in Afghanistan ist ’n Corolla, meinte Muli. Aber jeder versucht, sein Auto irgendwie individuell zu gestalten. Das ist genau wie in Deutschland mit den Fuchsschwänzen an den Antennen oder diesem Wackel-Elvis-Teil.
Fuchsschwänze? Wackel-Elvis? Was hast du denn geraucht, quatschte Hardy dazwischen.
Damit ham wir unsere Trabbis getunt. Die gingen dann ab wie ’ne Rakete, berichtete Muli.
Von ’nem Fuchsschwanz?, fragte Hardy ungläubig. Wahrscheinlich habt ihr auch noch Beschleunigungsstreifen an die Türen geklebt und die Zweitakter aufgebohrt, damit sie schneller als fünfundzwanzig liefen, legte er nach.
Muli konterte: Ey, mit so ’nem Fuchsschwanz war der Trabbi das ostdeutsche Gegenprodukt zu Herby, dem Käfer.
Solche Diskussionen gab es bei uns am laufenden Band. Vor allem wenn Muli anfing, von der DDR und seiner Heimatstadt Jena zu schwärmen.
Als wir den Innenstadtbereich erreichten, ermahnte Muli uns zu erhöhter Wachsamkeit. Die Stadt ist zwar relativ sicher, aber immer wieder gibt es schwere Anschläge, deshalb wurde ja auch das Feldlager von hier nach oben auf das Plateau verlegt, erklärte er. Aus Sicherheitsgründen, außerdem war’s zu klein.
Aber wäre es nicht sinnvoller gewesen, dort wenigstens einen Außenposten zu lassen, um den Kontakt zur Bevölkerung in der Stadt nicht zu verlieren?, hakte ich nach.
Du weißt doch, was hier die Taktik in den letzten Jahren war, entgegnete Muli. Verpissen und verkriechen. Und weil sie die komplette Kontrolle über den Norden verloren haben, haben wir jetzt solche Gefechte wie am Karfreitag. Warte mal eben, stoppte Muli die Unterhaltung.
Uns kam ein PKW entgegen, dessen Fahrer nicht ausweichen wollte. Wir blieben in der Fahrbahnmitte.
Egal was passiert, du hältst die Spur, wies Muli TJ an. Wir sind sozusagen der Stoßfänger und müssen den Rest hinter uns schützen, auch wenn der Typ seinen Wagen voller Sprengstoff hat.
Der weiße Toyota Corolla kam weiter auf uns zu. Er wurde auch nicht langsamer.
Bleib auf dem Gas, du darfst nicht an Tempo verlieren, wenn du dich hier im Verkehr durchsetzen willst. Und ISAF hat immer Vorfahrt, die Leute wissen das auch, rief Muli hastig.
Mica, richte die Waffenanlage auf den weißen Wagen, befahl Muli.
Check, quittierte Mica den Befehl und fing an zu kurbeln.
Das Maschinengewehr auf dem Dach drehte sich und der Toyota war nur noch ein kurzes Stück entfernt. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis er plötzlich auswich und uns Platz machte.
Im Vorbeifahren sahen wir, wer in dem Auto saß. Drei Männer und eine verschleierte Frau.
Wenn der Wagen voll besetzt ist, ist es kein Attentäter, rief Muli.
Ich kann nicht sagen, dass ich mich erleichtert fühlte. Wir hatten begonnen, unsere Arbeit zu machen. Seit ich während der Hitze-Patrouille am Straßenrand gestanden hatte und nicht wusste, wie ich mich angesichts der vielen Menschen auf der Straße verhalten sollte, wurde mir
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