Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
oder nicht befahren durften, weil es zu gefährlich war. Ich dachte mir, dass man kein ausgebildeter Militärstratege sein musste, um zu erkennen, wie verwundbar wir dadurch waren.
Mü hatte unsere Gruppe an die Spitze des Zuges gesetzt. Wir waren mit unserem Dingo ganz vorne, Nossis Transportpanzer Fuchs direkt dahinter. Da wir noch einen LKW mit Nachschubmaterial dabei hatten, mussten wir langsamer fahren.
Ich saß auf meinem Platz hinten rechts und sah aus dem Fenster, Hardy war auf der linken Seite, Mica in der Mitte an der Waffenanlage. TJ fuhr, und Muli neben ihm war der Boss. Meine Aufgabe war es, den rechten Bereich zu beobachten, Auffälligkeiten zu melden und abzusitzen, wenn Muli es für nötig hielt.
So, ab jetzt wird’s ernst, volle Aufmerksamkeit!, mahnte Muli.
Während wir auf die Stadt zurollten, ließ ich meinen Blick schweifen. Kornfelder standen gelb leuchtend in der Sonne und bedeckten das Land. Dazwischen immer wieder die kleinen Wälle und Gräben aus Lehm und die vielen Büsche und Bauminseln mit ihren kurzen, dünnen Stämmen. Ich dachte an Deutschland und sein sattes, durchdringendes Grün, das alles umgab. Selbst in den Städten, mit ihren Wiesen, Parks und Grünstreifen. Und immer hing diese gewisse Feuchtigkeit in der Luft, die vom Wind getragen wurde, der alles mit sanfter Hand in Bewegung hielt.
Hier in Afghanistan gab es auch viel Grün. Viel mehr, als ich erwartet hatte. Aber immer wirkte es blass, fast kränklich. Die Blätter schienen ihre Farbe an die Wüste zu verlieren. Ein verblasster Rahmen um ein trostloses Bild. Aber hoch oben darüber breitete sich der tiefblaue Himmel wie ein seidenes Tuch über der lehmigen Erde aus, die wie ein abgewetzter Teppich zerklüftet darunterlag. Und dazwischen der Sand in der Luft, der wie eine Brücke den Himmel mit der Erde verband. Ein Schleier aus feinen Körnern, der sich über den ganzen Horizont erstreckte und das ganze Land in loser Umklammerung hielt.
Während wir in Richtung Taloqan fuhren, war ich froh, nicht auf Micas Platz zu sitzen. Die Optik der Waffenanlage, die wie ein Periskop vor ihm in der Mitte an der Fahrzeugdecke hing und über Kurbeln gedreht werden konnte, hatte zwar Gummiabdeckungen an den beiden Okularen. Aber wenn man durchsehen wollte, musste man die Augen daranpressen. Es brauchte nur ein kleines Schlagloch oder eine Bodenwelle und Mica hatte ein blaues Auge. Überhaupt wäre die Arbeit des Richtschützen nichts für mich. Ich wollte lieber absitzen, auf der Straße sein und nicht das schwere Maschinengewehr auf dem Dach bedienen.
Wir waren gut drauf. TJ fuhr in der Mitte der asphaltierten Straße, um uns vor Sprengsätzen am Rand zu schützen, wodurch der Gegenverkehr ausweichen musste. Die Menschen schienen aber daran gewöhnt zu sein, weil jedes Fahrzeug, vom Lastwagen bis zum Motorrad, freiwillig Platz machte.
Wir rollen jetzt in die Stadt Kundus ein, meldete Muli über das Funkgerät nach hinten weiter.
Überall konnte man geschäftige Menschen sehen. Auffällig war nur, dass es ausschließlich Männer waren. Sie trugen meist lange weiße oder braune Gewänder und darüber dunkle Westen, manche gingen barfuß, andere hatten Sandalen an den Füßen. Aber fast alle hatten etwas auf dem Kopf. Während ich auf den Feldern vor allem Tücher und kleine runde Kappen gesehen hatte, trugen einige auch Schirmmützen, je mehr wir uns der Stadt näherten. Ich beobachtete sie durch meine dunkle Schutzbrille.
Schaut euch die beiden Typen mal an, rief Hardy plötzlich von links. Die halten sich an den Händen.
Das ist hier ganz normal, sagte Muli. Das ist ein Zeichen von Freundschaft, die machen das zum Beispiel, wenn sie einen Menschen in ihr Haus führen und ihm zeigen wollen, dass sie ihm vertrauen. Ihr wisst ja, dass ich früher öfter Kontakt mit Afghanen hatte, weil ich als HumInt-Feldwebel solche Aufklärungsmissionen mit Einheimischen gemacht hab.
HumInt stand für Human Intelligence und bedeutete, Informationen aus menschlichen Quellen zu bekommen, sprich: die Bevölkerung zu befragen.
Es kann also dazu kommen, dass ich mit Afghanen spreche und einer mich an der Hand nimmt, erzählte Muli weiter. Wenn ihr dann anfangt zu lachen, lauft ihr auf der nächsten Mission neben dem Auto her.
Wir beantworteten seine Drohung mit lautem Gelächter.
Zwischen den Menschen war die Straße voll mit Müll und Gerümpel. Kleine Stände und Buden, die den Straßenrand säumten und in denen alles Mögliche zum Verkauf
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