Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen
halten und nicht so wütend zu werden. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich zu weit gegangen bin, entschuldige ich mich bei ihnen und rede über das, was passiert ist. Wie viel Geduld ich habe, hängt natürlich wesentlich davon ab, ob mein Mann zu Hause ist. Wenn er daheim ist, habe ich mehr überschüssige Energie, und das Merkwürdige daran ist, dass auch die Kinder das merken. Wenn ihr Papa zu Hause ist, dann wissen sie, dass sie sich mit zwei Erwachsenen auseinandersetzen können, und ziehen alles noch mehr in die Länge.
Das Gefühl, versagt zu haben, belastet mich. Ich bin nicht die Mutter, die ich gerne sein würde! Nicht auszudenken, wenn mein Verhalten ihnen einen lebenslangen Schaden zufügt. Ich bin selbst unter schwierigen Bedingungen aufgewachsen. Meine Mutter war narzisstisch, und als Erwachsene musste ich hart gegen meine eigene Selbstausbeutung ankämpfen. Ich umarme meine Kinder jeden Tag und sage ihnen, wie wunderbar sie sind. Sie wissen, dass ich sie liebe. Wir nehmen sie oft zu Freizeitaktivitäten mit und spielen mit ihnen.
Ich fühle, dass alles, was mein Mann und ich tun, sich um unsere Kinder und die Familie dreht. Ich hätte nie gedacht, dass es so herrlich und schwierig ist, Mutter zu sein. Es bringt meine besten und meine schlechtesten Seiten zum Vorschein, und ich brauche Werkzeuge, um mit den schlechten Seiten besser umgehen zu können. Könnten Sie mir bitte helfen – und natürlich auch meinen Kindern?
Eine Mutter, die unbedingt ihr Bestes geben will
Antwort von Jesper Juul:
Danke für Ihren Brief, der nicht nur schön, sondern ein echter »Klassiker« ist, da er die Situation vieler Eltern beschreibt. Sie haben Ihren persönlichen Hintergrund, auf den ich später eingehen möchte. Doch in erster Linie sind Sie ein »Kind Ihrer Zeit«. Das bedeutet unter anderem, dass Sie und Ihre Kinder sich in einem Wertechaos befinden: In einem Moment wird Ihr Verhalten von dem Wunsch diktiert, eine moderne, respektvolle Mutter zu sein, und im nächsten Moment – wenn Konflikte entstehen – verheddern Sie sich im Gestrüpp Ihrer eigenen Kindheit und greifen instinktiv in die Schublade mit den altmodischen Erziehungsmethoden.
Sie wissen selbst, wie schwer es ist, die Mutter zu sein, die Sie sind. Man kann sich also gut vorstellen, wie unsicher und verwirrt Ihre Kinder sein müssen. Glücklicherweise hat Ihr Wille, sie zu respektieren und die Verantwortung für Ihre Fehler zu übernehmen, dafür gesorgt, dass Ihre Kinder völlig gesund sind. Das zeigt sich daran, dass sie tun und lassen, was ihnen gefällt, wenn ihre Mutter ihnen nicht die nötige Klarheit vermitteln kann, weil sie so sehr mit ihren eigenen Werten ringt.
Damit ist auch gesagt, dass dies ein Führungsproblem ist, für das Ihre Kinder unweigerlich ihren Preis bezahlen werden. Dieser wird meiner Einschätzung nach nicht allzu hoch ausfallen; dennoch sollten Sie versuchen, etwas daran zu ändern – schon allein im Hinblick auf Ihr Selbstgefühl als Mensch und Ihr Selbstvertrauen als Mutter.
Das Leben mit einer narzisstischen Mutter kommt der Kindheit in einer absoluten Diktatur gleich, wo die Individualität des Einzelnen nichts gilt beziehungsweise sich nicht entfalten kann. Dieser Umstand führt viele Beschwernisse mit sich; was jedoch Ihr Verhältnis zu Ihren eigenen Kindern kennzeichnet, ist ein Mangel an persönlicher Autorität. Dafür gibt es eine logische Erklärung. Wer mit einer krankhaft egozentrischen Mutter aufwächst, der hat später ebenso große intellektuelle wie emotionale Schwierigkeiten zu lernen, wie man sich selbst ernst nimmt. Schon das Wort »selbst« löst einen inneren Widerstand und die Angst aus, genauso egozentrisch und kalt zu sein, wie es das eigene Rollenmodell war.
Allein durch intellektuelle Einsicht und Anschauungen, die denen Ihrer Mutter widersprechen, können Sie diesen Widerstand nicht überwinden. Dazu brauchen Sie neue »therapeutische« Erlebnisse. Das muss nicht zwangsläufig eine Psychotherapie sein, denn auch diese hat ihre Grenzen. Es bedeutet, dass Sie das tun müssen, womit Sie bereits begonnen haben: die teils unbarmherzigen Herausforderungen Ihrer Kinder anzunehmen und an ihnen zu wachsen. Sie müssen also lernen, sich jedes Mal ernst zu nehmen, wenn Ihre Kinder Sie nicht ernst nehmen.
Es geht nicht darum, seine Stimme zu heben, streng zu sein oder mit Konsequenzen zu drohen. Es geht nicht um die Worte, die aus Ihrem Mund kommen, sondern um Ihre Ausstrahlung.
Es geht darum,
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