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Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen

Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen

Titel: Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesper Juul
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oder wecke jemand grundlos auf, der friedlich in seinem Bett schläft. Grundbedürfnisse müssen respektiert werden. Ich habe für vieles Verständnis, doch im Zusammenleben mit anderen Menschen gibt es gewisse Spielregeln! Ich machte deutlich, wie verärgert ich war, dass Quengeln eine schlechte Angewohnheit ist und man im Allgemeinen viel mehr erreicht, wenn man ein wenig diplomatisch vorgeht, zum Beispiel zunächst sein Zimmer aufräumt. Doch mein Sohn schnappte sich einfach im Vorbeilaufen seine Jacke und lief mir entgegen: »Können wir jetzt losfahren? Die Eltern von Lasse sind einverstanden.«
    Ich zählte bis zehn, ehe ich antwortete, nein, ich wolle erst zu Mittag essen. Außerdem wolle ich auf diesem Ausflug nicht die Verantwortung für ein anderes Kind übernehmen, schon gar nicht die finanzielle Verantwortung, und wolle darüber auch keine Diskussion bei offener Tür führen. Ich fügte hinzu, dass mir der Empfang ganz und gar nicht gefallen hätte, worauf er entgegnete: »Aber jetzt habe ich doch aufgeräumt.« Darauf ich: »Das sehe ich, aber ihr habt auch meinen Laptop benutzt.« Da rief er: »Das war eben ein Versehen. Außerdem willst du so was doch nicht bei offenen Türen diskutieren!«
    So ging es immer weiter, und während ich Essen machte, sagte er: »Ich verstehe gar nicht, warum du immer noch sauer bist! Ich habe mich doch entschuldigt und mein Zimmer aufgeräumt.«
    Darauf erwiderte ich, dass ich nicht verpflichtet sei, sofort wieder ein fröhliches Gesicht zu machen. Er bestimme nicht, wann alles wieder gut sei, ich könne sauer sein, solange ich will, wenn er gleichzeitig drei Regeln bricht. Das Wort »Entschuldigung« sei kein Zauberwort, mit dem man alle Kränkungen ungeschehen macht. Außerdem habe ich ihn darauf hingewiesen, dass seine penetrante Quengelei meine Bemühungen um Diskretion im Keim erstickt hätte.
    Als ich endlich in der Lage war, mich in Ruhe um das Essen zu kümmern, und seine Freunde sehr wohl verstanden hatten, dass es keine Gratistour zum Vergnügungspark geben würde, gingen sie nach Hause. Mein Sohn kam immer wieder zur Tür herein und wollte wissen, ob ich noch sauer sei. An einem gewissen Punkt, über die Töpfe gebeugt, hatte ich nur noch einen einzigen Satz aus meinem Repertoire übrig: »Geh raus! Ich will jetzt zehn Minuten in Ruhe kochen und keine Fragen beantworten!«
    Verstehen Sie? Die derzeit so populäre Verhandlungsmethode in der Erziehung ist zu einer Pest geworden. Kinder brauchen sich doch gar nicht mehr in andere Menschen hineinzuversetzen, weil die Verhandlungen auf oberflächlicher Ebene stattfinden: »Ich habe mich doch entschuldigt und mein Zimmer aufgeräumt, deshalb ist jetzt alles wieder gut und wir können in den Vergnügungspark fahren!«
    Gleichzeitig werden die banalsten Dinge als Zumutung empfunden, zum Beispiel das Aufräumen des eigenen Zimmers oder dass man auf seine Sachen achtet. Dass kleinere Dinge mal verloren gehen, kann ich ja verstehen, aber Dinge, die ihm eigentlich sehr wichtig sind? Er hat jetzt vier Jahre hintereinander seine Armbanduhr kaputt gemacht oder verloren. Inzwischen weigere ich mich, ihm eine neue zu kaufen. Stets bekam er zum Schulbeginn eine neue Uhr, doch dauerte es nur wenige Wochen, bis sie kaputt oder verschwunden war und er für den Rest des Schuljahrs auf eine Armbanduhr verzichten musste.
    Außerdem hat er ein Handy für weit über 100 Euro. Er hat es bekommen, nachdem er es sich mehrere Jahre gewünscht hatte, doch hat er es schon mehrmals irgendwo liegen lassen. Seine einzige Lehre daraus besteht bis jetzt darin, dass verlorene Gegenstände quasi von allein zurückkehren, weil freundliche Fremde meist dafür sorgen, wie in seinem Fall. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Trainingsanzüge und Badehosen im Lauf seiner Schulzeit verloren gingen.
    Darüber hinaus mangelt es an den einfachsten und selbstverständlichsten Dingen: dass er das Schulbrot, das ich ihm gemacht habe, auch in seinen Ranzen steckt; dass er seinen Teller nach dem Essen in die Geschirrspülmaschine räumt (was wir inzwischen seit drei bis vier Jahren üben); dass er »Hallo« sagt, wenn er von draußen hereinkommt; dass er die Spülung betätigt und sich die Hände wäscht, nachdem er auf der Toilette war; dass er die Schuhe auf dem Flur zur Seite räumt (ich verlange ja gar nicht, dass sie im Schuhschrank landen, nur weg von der Haustür) oder – simpler geht’s nicht – dass er die Tür hinter sich schließt! Vielleicht muss

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