Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen
ich mir eine völlig neue Art und Weise des Umgangs mit meinem Kind angewöhnen.
Sie sagen, dass es falsch ist, dem Kind die Schuld zu geben, indem man strengere Grenzen und Regeln einführt. Sie sagen, Eltern sollen eher den eigenen Charakter kennenlernen und sich als Menschen definieren. Aber ich kenne mich selbst! Ich weiß ganz genau, wann ich genug habe, und an Klarheit gegenüber meinem Sohn lasse ich es bestimmt auch nicht vermissen!
Wenn er mich auf der Toilette stört und spät am Abend die Aufmerksamkeit auf sich ziehen will, obwohl er längst schlafen sollte, dann ist es so sicher wie das Amen in der Kirche, wie ich darauf reagiere: nicht positiv! Dann weise ich ihn ab. Ich habe ihm ganz unmissverständlich eine bestimmte Uhrzeit genannt, ab der ich jede Art der Hinwendung an mich nur als Verzögerungstaktik begreife, aber er macht einfach weiter wie ein Elefant im Porzellanladen! Ich fühle mich wie ein Tonbandgerät, das immer wieder denselben Text abspult, auch heute wieder: »Du hast deine Antwort schon bekommen. Die Antwort lautet Nein. Ich brauche dir nicht zu sagen, warum ich kein Geld verleihe.«
Ich bin keine Neokonservative. Ich bin nicht auf eine Kindererziehung aus, die gehorsame Kinder und neurotische Erwachsene produziert.
Aber ich verstehe nicht, dass es elf und mehr Jahre dauern soll, bis ein (überdurchschnittlich kluger) Junge lernt, die Tür hinter sich zu schließen, den Mund zu halten, wenn er die eindeutige Botschaft erhalten hat, dass es keine weiteren Diskussionen geben wird, oder eine Badehose mitzunehmen, wenn er ins Schwimmbad will.
Und Sie können mir glauben, dass ich meine Führungsrolle hinreichend wahrnehme. Doch sind wir dabei, uns so häufig zu streiten, dass ein normales Miteinander kaum mehr möglich ist.
Ich bin außerdem peinlich berührt und stocksauer, wenn diese ewige Quengelei in Gegenwart anderer Leute stattfindet.
Eine erschöpfte Mutter, die nicht mehr weiterweiß
Antwort von Jesper Juul:
Ich musste Ihren Brief ein wenig kürzen, obwohl er noch manche Episode enthält, die viele Eltern bestimmt wiedererkannt hätten.
Meine erste Reaktion auf Ihre Geschichte ist Trauer. Ich bin ganz einfach traurig darüber, dass eine Mutter, die so viel Umsicht, Intelligenz und Engagement an den Tag legt, sich in der Situation befindet, die Sie beschrieben haben.
Das Verhalten Ihres Sohnes bedeutet, dass Sie sehr viel mehr Macht haben, als Sie ahnen, und dass er jeden Tag darum kämpfen muss, mit Ihnen auf Augenhöhe zu kommen. Ihre Macht hängt weniger von Ihren konkreten Entscheidungen oder von den Grenzen ab, die Sie definieren. All diese Dinge sind von gesunder Vernunft geprägt. Es geht mehr um Ihre Persönlichkeit – dass Sie in Ihrer Art, im Raum gegenwärtig zu sein, Macht verkörpern. Das können Sie an erwachsenen Freunden oder Kollegen testen, denn es betrifft nicht allein Ihre Rolle als Mutter.
Diese Doppelstruktur Ihrer Existenz – gesunde Vernunft und Macht – gibt Ihren Kindern drei Möglichkeiten: Sie können sich Ihrer Autorität unterwerfen, dagegen ankämpfen oder größtmöglichen Abstand halten. Ihr Sohn versucht dagegen anzukämpfen, was traurig ist, weil Sie dadurch beide verlieren.
Sie haben eine Erziehungsphilosophie, von der Sie felsenfest überzeugt sind, und sind doch täglich mit der Tatsache konfrontiert, dass sie in der Beziehung zu Ihrem Sohn nicht funktioniert.
Das ist für Sie natürlich traurig und demütigend. Darüber hinaus wird Ihr Sohn in ein Spiel hineingezwungen, in dem er gegen seine Mutter ankämpfen muss, statt für sich selbst kämpfen zu können, was ihn ebenfalls sehr traurig macht.
Er hat jede Menge Aufmerksamkeit, Liebe, Führerschaft und Erziehung bekommen, musste jedoch Ihr aufrichtiges Interesse dafür vermissen, wer er ist, wie er denkt und was seine Werte sind. Aus seiner Perspektive kann er in seiner Beziehung zu Ihnen nur verlieren. Es verhält sich so ähnlich, wenn Eltern ihre Kinder nötigen, sich zu entschuldigen, und ihnen postwendend vorwerfen, die Entschuldigung sei nicht von Herzen gekommen.
In praktisch all den Beispielen, die Sie nennen, versucht Ihr Sohn, Ihnen in Ihrer Spielhälfte zu begegnen, zu Ihren Bedingungen zu verhandeln. Doch erfüllt er fast nie Ihre Erwartungen, was bei Kindern leider dazu führt, dass sie sich als Mensch minderwertig fühlen. Sie haben ihn über Empathie und Feingefühl belehrt, lassen dies im Umgang mit ihm aber vermissen, was Sie auf lange Sicht sowohl
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