Vier Zeiten - Erinnerungen
Politik spielen« hatte mein Vater gesprochen, als er 1931 und 1932 im Auswärtigen Ausschuß des Reichstages über den Völkerbund zu berichten und mit Abgeordneten der NSDAP zu diskutieren hatte. Eine weitverbreitete, gefährliche Unkenntnis der Diplomaten von der Stimmungslage im Inneren trat zutage.
Bald kam es im Ausland zu Reibungen. Auch in Oslo mußte plötzlich die deutsche Gesandtschaft polizeilich geschützt werden. In seiner Behörde gab mein Vater bekannt, er werde Weisungen aus Berlin ausführen, soweit sie mit dem Gewissen zu vereinbaren seien. Aufgrund seiner Genfer Erfahrungen sah er zwar sofort nach den ersten außenpolitischen Parolen der Hitlerregierung eine neue Kriegsgefahr, glaubte jedoch, die Krise könne am Ende überwunden werden. Auf eine Anfrage des Außenministers Neurath, ob er bereit sei, Staatssekretär des Äußeren zu werden, antwortete er ablehnend, hielt aber, wie fast alle seine Kollegen, an der Überzeugung fest, man dürfe die alte, voll funktionsfähige, untereinander vertraute deutsche Diplomatie nicht den neuen Dilettanten überlassen und habe daher im Amt zu bleiben. Nicht zuletzt der ehemalige Reichskanzler Brüning, der eine hohe Meinung von meinem Vater hatte, bestärkte ihn in dieser Auffassung.
Das bedeutete die Übernahme einer Funktion, deren Ziel es war, das Land abzuschirmen. Aber wie lange würde sie standhalten? Würde sie überhaupt etwas nach außen und vor allem nach innen bewirken können? Das blieben nun die entscheidenden Fragen der Politik und des Gewissens - für meinen Vater wie für viele andere.
Schulzeit in Bern; Vater Staatssekretär in Berlin; Münchner Abkommen und die Folgen
Zu Beginn des Jahres 1933 wurde mein Vater deutscher Gesandter in Bern. Es war nach Basel und Genf seine dritte Aufgabe in der Schweiz, mit der die Familienbeziehungen immer enger wurden, zumal mein Bruder Carl Friedrich bei der Familie Wille in Mariafeld am Zürichsee seine Frau Gundalena fand, eine Doktorandin Carl Burckhardts, die mit ihrem geistvollen Temperament,
ihrem souveränen Stil und ihrer Wärme ein Glück für unsere ganze Familie wurde.
So gern ich in Berlin gewesen war, die Aussicht auf einen neuen Umzug hatte mein jugendliches Gemüt alsbald mit Begeisterung erfüllt. Die Last der Arbeit lag ja nicht bei mir, sondern bei meiner Mutter, die es in ihrem Leben auf insgesamt 26 Umzüge brachte; mit Hilfe ihrer Umsicht widerlegte sie den bekannten Spruch, fünf Umzüge seien gleichbedeutend mit einem kompletten Brand.
Meine Probleme lagen bei der Umschulung. In Berlin hatte ich bei meinem Abgang - zum ersten und einzigen Mal in meiner Schulzeit - das beste Zeugnis der Klasse erhalten. Für die entsprechende Untertertia machte ich in Bern die Aufnahmeprüfung und war in Deutsch knapp ausreichend, in den anderen vier Fächern glatt ungenügend. An der Literarschule des Berner Städtischen Gymnasium ging es streng zu. Niemand ließ sich von äußeren, zumal politischen Verhältnissen ablenken. Statt dessen wurde gründlich gepaukt. Durch intensive Nachhilfestunden schaffte ich die großzügig erlaubte Wiederholung des Eingangsexamens und verbrachte dann drei ausgefüllte Jahre mit den Berner Schulkameraden, mit denen ich bis heute in freundschaftlichem Kontakt bin. Schweizerdeutsch lernte ich zwar im verborgenen, genierte mich aber, es in der Klasse zu sprechen.
Verständlicherweise verbreiteten sich unter den Schweizern in wachsendem Maß böse Empfindungen gegenüber dem nördlichen Nachbarn. Man fühlte sich von ihm bedrängt, um so mehr, als die Diktatoren in Deutschland und in Italien begannen, sich einander anzunähern. Hinzu kamen schrille verbale Attacken aus Deutschland. Göring redete in Freiburg im Breisgau öffentlich von südlichen Nachbarn, die »Dreck in der Hirnschale« hätten. Unser Geschichtslehrer, ein ebenso scharfsinniger wie scharfzüngiger Mann, ließ mich, den vierzehnjährigen Sohn des deutschen Missionschefs, seine Abneigung gegen Deutschland deutlich spüren. Meine Mitschüler aber, keine
schlechteren Schweizer als er, stellten sich schützend vor mich, aus Loyalität zum Klassenkameraden. Wir waren fleißige und zugleich ungemein sportliche Schüler. Einer von uns, Marc Hodler, hat es im internationalen Ansehen besonders weit gebracht. Er wurde Studentenweltmeister in den alpinen Skidisziplinen, später Präsident des Weltskiverbandes und ist heute Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees. Meine Skikünste erreichten
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