Vier Zeiten - Erinnerungen
gutgegangen, wie ich es zuvor
nie für möglich gehalten hatte. Das Bundespräsidialamt ist eine kleine Behörde, die es mit ihren etwa hundertfünfzig Bediensteten erlaubt, einen persönlichen Überblick und Kontakt zu gewinnen. Im Laufe meiner zehn Jahre machte dies die Zusammenarbeit zur Freude -jedenfalls für mich. Der Chef des Präsidialamtes, Meyer-Landrut, erklärte mir freilich in einer köstlichen Abschiedsrede, wie weit entfernt ich von einem idealen Vorgesetzten gewesen sei; denn dieser dürfe nicht zuviel wissen und erst recht nicht zu viele Fragen stellen, ich aber sei - horribile dictu - ein halber Sokrates gewesen, der ständig im Bewußtsein, nichts zu wissen, gebohrt und gefragt habe. Meine Reden hätte ich wie Schreibspiele vorbereitet, mit offenem Ausgang, ohne Gewinner oder Verlierer; und niemand hätte das abenteuerliche Entstehen der endgültigen Fassungen durchschaut.
Dann folgte eine Fernsehpersiflage, in der es hieß, der in Berlin ansässige Siedler-Verlag werde bereits in drei Monaten zur Frankfurter Buchmesse die Memoiren des scheidenden Bundespräsidenten veröffentlichen. Wegen der Kürze der Zeit sei ein Ghostwriter verpflichtet worden. Ein Hamburger Magazin wisse zu berichten, daß die Wahl auf den bekannten Publizisten Konrad Kujau gefallen sei.
Einige enge und langjährige Mitarbeiter verließen das Amt gleichzeitig mit mir. Ihnen galt mein besonderer Dank. Neben dem Amtschef Staatssekretär Meyer-Landrut, der das Alter des Ruhestandes erreicht hatte, gehörte sein weit jüngerer Stellvertreter, Ministerialdirektor Meinhard Ade, dazu. Wir hatten uns schon am Anfang der siebziger Jahre bei der Arbeit an Grundsatzprogrammen kennengelernt. Während meiner Berliner Bürgermeisterzeit war Ade Sprecher des Senats. Das Amt füllte er auf eine seinem Wesen gemäße Weise aus: Er sprach selten; wenn er etwas sagte, war es klug und verläßlich. Public-Relations-Feldzüge schätzten weder er noch ich. Später übernahm er die Leitung der innenpolitischen Abteilung im Präsidialamt. Mit
seinem strategischen Denken war er ebenso unentbehrlich im Amt wie für die gute Atmosphäre unter den Mitarbeitern.
Mit Henning Horstmann, dem Sprecher des Amtes, Jürgen Heimsoeth, meinem Persönlichen Referenten, und Barbara Minkmar, der Leiterin meines Sekretariats, hatte ich beinahe jeden Tag zusammengearbeitet. Mein Schmerz über die bevorstehende Trennung war ständig gewachsen. Alle drei entstammten dem Auswärtigen Amt, wo man sie mir schweren Herzens ausgeliehen hatte und wohin sie nun zurückkehrten. Es war eine immer von neuem erprobte menschliche und sachliche Wohltat, den Tageslauf und die zahlreichen Reisen gemeinsam mit ihnen zu erleben, die Herausforderungen zu erkennen, Krisen durchzustehen und bewegende Erfahrungen zu teilen.
Horstmann war die personifizierte Vertrauensbildung. Er überzeugte die Medien, weil er immer gut orientiert, bedingungslos zuverlässig in seinen Auskünften, warmherzig und doch auch durchaus bereit war - bis hin zum physischen Einsatz -, auf die Einhaltung der Spielregeln zu achten. Heimsoeth lief in unserer Mannschaft unter dem Spitznamen Direktor. Seine gänzlich unbestechliche Intelligenz und sein kritisch-loyaler Geist bewährten sich in jedem unserer zahllosen, für mich unentbehrlichen Gespräche. Barbara Minkmar bewahrte in jeder Situation ihre souveräne Übersicht. Für jeden, der mit dem Sekretariat des Bundespräsidenten in Berührung kam, angefangen bei mir selbst, wurde sie zum Inbegriff von Kompetenz und Verständigkeit, von Hilfsbereitschaft, Takt und Charme.
Über viele andere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen könnte ich noch mit Freude berichten. Sie fuhren nach meinem Ausscheiden in ihren Dienstgeschäften fort, zur Freude meines Nachfolgers, dessen bin ich gewiß.
Buchstäblich in den letzten Stunden meiner zehn Jahre waren bei uns in Berlin die Verfassungsorgane zu Gast, das Präsidium des Bundestages und des Bundesrates, der Bundeskanzler und der Vizekanzler, die am Tag zuvor ernannte neue Präsidentin
des Bundesverfassungsgerichts, die Ministerpräsidenten der Länder und die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag. Es war eine ernste und heitere Runde zugleich. Mit einem Wort aus dem Talmud verabschiedete ich mich vorläufig von allen meinen durch viele Jahre vertrauten Kolleginnen und Kollegen: Es ist nicht möglich, das Werk zu vollenden; es ist nicht erlaubt, das Werk zu verlassen.
Im Dezember 1989 feierten wir den 75. Geburtstag meines
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