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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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den Kollegen übergab mir Václav Havel zum Abschied eine gestochene Karte Europas aus dem 17. Jahrhundert. Ein Zeichner hatte sie mehr seinen Wünschen als den historischen Realitäten gehorchend entworfen. Nun suchte jeder von uns sein Land auf dem Kupferstich und siehe, der österreichische Bundespräsident Klestil mußte feststellen, daß der Stecher die Habsburger Monarchie unter Verteilung ihrer Lande an die Nachbarn vollkommen zum Verschwinden gebracht hatte. Es war eben schon immer so, daß der Begriff Mitteleuropa Anlaß zu Streit bot.
    Dann folgten Abschiedsbesuche bei unseren vertrauten Nachbarn, bei Königin Beatrix und Prinz Claus in Den Haag, bei François Mitterrand in Paris und bei Königin Elisabeth II. in Großbritannien.
    Meine letzte Dienstreise vier Tage vor meiner Amtsübergabe galt dem Land, dessen Schicksal und Verhältnis zu uns Deutschen mich zu allererst beschäftigt und überhaupt in die Politik hineingeführt hatte, dem Nachbarn Polen. Es kam zu einem herzlichen Wiedersehen mit Präsident Lech Wałęsa und mit dem alten Freund Tadeusz Mazowiecki. Im Mittelpunkt stand die Teilnahme an einer Konferenz, die der deutschen Zielsetzung gewidmet war, Polen an Westeuropa heranzuführen und Frankreich in diese Aufgabe soweit wie möglich einzubeziehen. Das ist der angestrebte Trilateralismus.

    Am 18.Mai 1992 verabschiedete ich Hans-Dietrich Genscher und übergab als seinem Nachfolger Klaus Kinkel die Ernennungsurkunde im Beisein von Helmut Kohl. Auf den Tag genau 18 Jahre lang hatte Genscher das Auswärtige Amt geleitet. Sein Rücktritt war allein sein eigener Wunsch.
    Der letzte Monat im Amt war mit Besuchen und Gästen angefüllt. Meine Frau und ich luden ins Berliner Schloß Bellevue zu einem großen Gartenfest ein, das ehrenamtlichen Helfern aus Ost und West gewidmet war. Es gibt unvorstellbar vielfältige freigemeinnützige Einrichtungen und ganz private Initiativen, deren Träger und Mitarbeiter sich ohne Entgelt für andere engagieren. Es kostet sie Zeit und Kraft, die sie aber nicht verlieren, sondern bei denen sie sich selbst regenerieren. Sie helfen Mitmenschen in Not und erleben dabei die Gesellschaft anders und viel realistischer als jene, die nur dem eigenen Beruf und Vergnügen nachgehen. Viele von ihnen setzen sich für Behinderte ein. Wir können von ihnen lernen, Behinderung als Verschiedenheit zu begreifen. In der Gesellschaft wird allerdings Behinderung als die Art von Verschiedenheit angesehen, die benachteiligt,
ja die bestraft wird. Es ist eine schwere, aber notwendige und gemeinsame Aufgabe für uns alle, solche Benachteiligungen so gut wie möglich zu überwinden. Für das Menschsein gibt es keine Norm. Es ist normal, verschieden zu sein. Die Helfer der Behinderten helfen sich selbst und zählen nicht auf Dank. Der Sinn unseres beschwingten Zusammenseins war es, ihnen zu danken und für sie zu werben.
    Wie sie es schon mit unseren Vorgängern gehalten hatte, verabschiedete mich die Bundeswehr in Bonn mit einem großen Zapfenstreich. Diese feierliche Abendmusik der Militärkapellen war mir seit vielen Jahrzehnten vertraut. Oft hatte ich die Bundeswehr besucht, ihre Übungen beobachtet, auf Kommandeurstagungen gesprochen, mit Soldaten auf Kirchentagen an strittigen Diskussionen teilgenommen, mit Befehlshabern im Kreise von Nato-Partnern Gedanken ausgetauscht.
    Der Zapfenstreich im dunklen, nur mit Fackeln beleuchteten Park der Villa Hammerschmidt war etwas ganz anderes. Im normalen Militärdienst, den ich viele Jahre lang abgeleistet hatte, bedeutet der Zapfenstreich das Ende der freien Ausgehzeit der Soldaten; einst gingen dann ein Pfeifer und ein Trommler durch die Schenken und schlugen auf den Zapfen des Fasses, damit kein Bier mehr ausgeschenkt wurde. Hier war es am 27. Juni 1994 ein Symbol für das Ende meines Dienstes an unserem Staat, dem ich mich zehn Jahre zuvor verpflichtet hatte. Zugleich war es unsere Abschiedsveranstaltung in der Villa Hammerschmidt und in Bonn, erfüllt vom Dank für die unverlierbare Geschichte der Bonner Republik; zu ihren Leistungen hatte es auch gehört, die alte Sonderrolle des Militärs in einen normalen demokratischen Bestandteil unserer Bürgergesellschaft zu verwandeln.
    Wir luden die Angehörigen des Bundespräsidialamtes ein und feierten ein Fest voller Dankbarkeit und einer Heiterkeit, die manchen Kummer über die bevorstehende Trennung verbarg. Es war mir mit den Damen und Herren bei der Zusammenarbeit im Amt in einem Maße

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