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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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entlarven, sie menschlich zu diskreditieren. Es ist ein gnadenloser Ringkampf. Die Richter sitzen oben, befinden zunächst nur über Verfahrensanträge und hören im übrigen zu. Am Ende entscheiden sie oder die Geschworenen, welche der beiden Seiten wohl am weitesten in das Feld der Unwahrheit vorgedrungen sein dürfte.
    Hinzu kam nun im Nürnberger Verfahren eine nach dem amerikanischen Prozeßrecht im Prinzip zulässige Methode der
Anklage, nämlich die Gewinnung von Kronzeugen. Eine solche Praxis, wie sie mittlerweile ja auch bei uns in kleinerem Umfang eingeführt worden ist, kann ihren Sinn haben. Aber sie kann auch sehr problematisch werden. Das haben wir in Nürnberg auf dramatische Weise erlebt.
    Der amerikanische Ankläger war Robert Kempner, selbst noch deutscher Kriegsteilnehmer im Ersten Weltkrieg, danach preußischer Beamter und Justitiar der Polizeiabteilung im Innenministerium, 1933 als Jude aus dem öffentlichen Dienst entlassen, später über Italien in die USA emigriert. Es war für ihn ein schwerer Weg.
    Am Ende unseres Jahrhunderts kann sich bei uns kaum noch jemand vorstellen, was das Emigrantenschicksal für verfolgte und aus ihrer deutschen Heimat vertriebene Menschen bedeutete. Einige von ihnen waren später nach Israel gekommen und bauten unter unsäglichen Mühen eine neue Heimat auf. Zu ihnen zählte Yohanan Meroz aus Berlin, fast auf den Tag genau so alt wie ich, ein großartiger Diplomat und Philologe, mit dem ich mich während seiner Zeit als Botschafter Israels in Bonn nahe befreundete. Andere suchten nach dem Krieg einen Weg zurück nach Deutschland. Für sie alle war es schwer. Der große Germanist Hans Mayer ging zunächst nach Leipzig, um sich an einer klaren Alternative zum Faschismus auf deutschem Boden zu beteiligen, bevor er dann später aus Gründen der geistigen Redlichkeit nach Tübingen umzog. Der Kunsthistoriker Otto von Simson, Urenkel von Eduard von Simson, dem Präsidenten der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848 und ersten Präsidenten des Reichsgerichts in Leipzig, blieb als Emigrant nicht auf die Dauer in den USA, wo er großartige Wirkungsmöglichkeiten hatte; 1949 kam er nach Deutschland zurück und leistete danach Unersetzliches, um Kultur und Wissenschaft in der alten Heimat wiederaufzubauen. Eric Warburg kam aus der Emigration als amerikanischer Offizier nach Deutschland, um dann aber alsbald hierzubleiben und für uns
ein Vorbild an Humanität und uneigennützigem Gemeinsinn zu werden. Bei jedem von denen, die wieder nach Deutschland zurückkehrten, verlief der Weg wieder anders. Alle waren einmal auf brutale Weise aus einem Lebenskreis herausgerissen worden, der der ihre gewesen war. Das hatte tiefe Wunden hinterlassen.
    So hatte es auch Robert Kempner empfunden. Er, der ehemalige deutsche Beamte, litt gerade unter der Erinnerung an dieses Milieu besonders schwer. Es war zu verstehen, daß er sich nun als amerikanischer Ankläger auf Typus, Wirkung und Schuld der deutschen Beamtenschaft konzentrierte, wenngleich mit seltsamen Methoden. Für seine Prozeßvorbereitung bediente er sich unter anderem einer engen Zusammenarbeit mit dem scharfsinnigen deutschen Staatsrechtler Carl Schmitt. Dieser hatte sich für die autoritäre Veränderung des parlamentarischen Systems und für eine »kommissarische Diktatur« eingesetzt. Bei Kempner und vielen anderen galt er als »Kronjurist des Dritten Reichs« - ob zu Recht oder Unrecht, diese vieldiskutierte Frage will ich hier nicht erörtern. Jedenfalls aber erschien er Kempner nützlich für dessen Anklageziele. Deshalb wurde er auf Veranlassung Kempners außer Verfolgung gesetzt und im Mai 1947 endgültig aus der Haft entlassen.
    Besonders bekannt geworden ist Kempners Versuch, einen Spitzenbeamten des Auswärtigen Amtes, den Ministerialdirektor Friedrich Wilhelm Gaus, vor den eigenen Karren zu spannen. Durch einen Zufall gelang es mir, die Wortprotokolle zu finden, die die Vernehmungen des zunächst inhaftierten Gaus durch Kempner verzeichnen. Wir legten die einschlägigen Auszüge im Gericht als Beweisstücke vor; sie wurden in der deutschen Presse weithin abgedruckt. »Sie müssen uns helfen, die Sache aufzuklären«, hatte Kempner zu Gaus gesagt und hinzugefügt: »Wenn ich meinen Kopf retten könnte, würde ich jeden Meineid schwören.« Ich glaube nicht, daß Gaus später gerichtliche Meineide geleistet hat. Aber er wurde durch Kempner dazu
gebracht, die ihm angedrohte Rolle des Angeklagten gegen

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