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Vier Zeiten - Erinnerungen

Titel: Vier Zeiten - Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard von Weizsäcker
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Kriegsausbruch zu verhindern. Während des Krieges galt es, in London die Existenz und das Gewicht des Widerstandes innerhalb Deutschlands zu bezeugen und ihm eine außenpolitische Chance für einen Kriegsabbruch ohne Hitler einzuräumen. Es bedurfte für diesen Widerstand einer Hilfe von außen, um seine Handlungsweise eines Tages auch der eigenen Bevölkerung verständlich machen zu können.
    Über diese deutschen Kontakte in Richtung Großbritannien gibt es eine umfangreiche und heute kaum noch strittige Literatur. Der nach dem 20. Juli 1944 hingerichtete Adam von Trott knüpfte sie ebenso wie die Diplomatenbrüder Theo und Erich Kordt und andere. Sie verstanden sich als Freundeskreis, die nach ihrem eigenen Zeugnis unter dem Schutz und nach Weisungen
meines Vaters arbeiteten. Auf sein Drängen hatten auch der Schweizer Historiker und Hohe Kommissar des Völkerbundes in Danzig, Carl J. Burckhardt, und der Primas der norwegischen Kirche, Bischof Berggrav, Haupt des norwegischen Widerstandes gegen Hitler, auf die Engländer eingewirkt.
    Aber vergeblich. Die britischen Demokraten und der deutsche Widerstand fanden nicht zusammen.
    Gewiß war es für die Briten schwer, sich ein zuverlässiges Bild über Umfang und Gewicht dieser Stimmen aus Deutschland zu verschaffen. Darüber hinaus fehlte es jedoch vielen von ihnen auch am Willen. In London herrschte nicht nur Empörung über Hitler; vielmehr gesellte sie sich zu einer generellen antideutschen Stimmung. Der Außenminister Anthony Eden machte gar keinen Hehl daraus, zwischen einem Deutschland Hitlers und einem des Widerstandes nicht unterscheiden zu wollen. Über das Scheitern des Attentats am 20. Juli 1944 waren manche im britischen Foreign Office geradezu erleichtert. Enthüllend sind Anmerkungen aus den Akten dieser Behörde, die aus der Feder von John Wheeler-Bennett stammen. Er war ein enger Freund von Eden, Mitglied des Foreign Office Intelligence Department und Verfasser der »Nemesis der Macht«, eines der ersten Nachkriegsbücher über die Nazizeit. In jenen Akten schrieb er unter anderem:
    »It may now be said with some definiteness that we are better off with things as they are today, than if the plot of July 20th had succeeded and Hitler had been assassinated... The Gestapo and the SS have done us an appreciable service in removing a selection of those who would undoubtedly have posed as ›good‹ Germans after the war... It is to our advantage therefore that the purge should continue, since the killing of Germans by Germans will save us from future embarassments of many kinds.«
    Wer so urteilte, wollte eben nichts von einer Opposition in Deutschland gegen das Regime hören. Auch die unselige Formel
von der bedingungslosen Kapitulation gehört in diesen Zusammenhang, da sie dazu beitragen konnte, einen Staatsstreich in Deutschland zu erschweren. Dazu noch einmal Wheeler-Bennett: »Wir sollten uns nicht in die Position bringen, mit irgendwelchen Deutschen, ob gut oder schlecht, zu verhandeln [...] Dies entspricht dem Prinzip der bedingungslosen Kapitulation« (zitiert nach Richard Lamb, Das Foreign Office und der deutsche Widerstand 1938-1944, in Müller/Dilkes, Großbritannien und der deutsche Widerstand, 1994).
    Churchill hatte dieser Formel der Alliierten zugestimmt. Nach dem Krieg räumte er ein, über den Widerstand in Deutschland irregeleitet worden zu sein. Man hatte die entsprechenden Signale im Foreign Office versickern lassen. Auf eine Frage von Roosevelt nach dem späteren Namen des Krieges antwortete Churchill: »The unnecessary war«; man habe sich vor dem Krieg von Hitler zu lange erpressen lassen und im Krieg den Widerstand in Deutschland ignoriert.
    Kein denkender Mensch wird mit Hilfe solcher Erkenntnisse versucht sein, die Verbrechen Hitlers und des Krieges zu relativieren. Dennoch sehen wir heute die Ereignisse der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts in einem größeren Zusammenhang. Großbritannien und Deutschland waren beide zunächst imperiale Mächte, dank der Kolonial- und Flottenpolitik in wachsender Rivalität. Die Untaten und der Angriff Hitlers auf ganz Europa gaben Deutschland schließlich dem Verdammungsurteil der ganzen Welt preis. Großbritannien war an seiner Exekution führend beteiligt und sah damit nicht nur zu Recht das Böse bestraft, sondern auch den alten Konflikt mit Deutschland als endgültig entschieden an.
    Die beiden Weltkriege hatten aber eine neue Weltordnung heraufgeführt, zu Lasten nicht nur Deutschlands,

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