Vier Zeiten - Erinnerungen
beteiligte ich mich an der Aufgabe, bei den Konflikten Brücken zu bauen zwischen Unternehmensleitung und Gewerkschaften, zwischen Wirtschaft und Politik.
Ein Beispiel dafür ergab sich in der heftigen Auseinandersetzung über die sogenannte Montanmitbestimmung, also die zunächst nur bei Kohle und Stahl eingeführte Parität von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsräten und die Berufung von gewerkschaftlich genehmen Arbeitsdirektoren in die Vorstände der Unternehmen. Die eine Seite sah darin eine entscheidende Wendung zum Besseren für das sozialpolitische Klima, die andere dagegen eine Gefahr für das frei
verantwortliche Unternehmertum und damit auch eine Abschreckung ausländischer Investoren.
Über diesen Streit organisierte ich von unserem Unternehmen aus eine Felduntersuchung der empirischen Sozialforschung. Wir beauftragten das Frankfurter Institut für Sozialforschung, das unter Leitung von Max Horkheimer und Theodor Adorno eine weltweite Berühmtheit erlangt hatte. Während der Arbeiten am Projekt war es für mich ein köstliches Vergnügen, zu beobachten, mit wieviel neugieriger Hingabe diese großen sozialwissenschaftlichen Intellektuellen den Umgang mit meinen Chefs pflegten, also mit der ihnen von Hause aus wenig geheuren Welt der Wirtschaftskapitäne an Rhein und Ruhr. Dabei setzten sie ihre höchst kritischen Theorien an den spätkapitalistischen Herrschaftsstrukturen offen dem Test der Nachkriegspraxis im Montanbereich aus. Das Resultat ihres Gutachtens empfand ich als hilfreiche Klärung der Atmosphäre. Die Montanmitbestimmung hat keine Wunder bewirkt, wohl aber zum sozialen Frieden im Lande beigetragen, und dieser wurde ein entscheidend positives Kennzeichen unseres Standorts.
Soziallehren der Kirchen; CDU
Ganz generell beschäftigte mich damals besonders stark die Sozialethik in unserer neugewonnenen, noch in der Festigung begriffenen Demokratie. Es war ein Feld lebendiger theoretischer Auseinandersetzungen, aktiver gesellschaftspolitischer Programme und praktischer sozialpolitischer Initiativen.
Die Gedanken der »Frankfurter Schule« und andere säkulare Richtungen der Wissenschaft wetteiferten mit der christlichtheologischen Gesellschaftsethik. Neben der evangelischen Richtung erlebte hier die katholische Soziallehre eine neue Blütezeit. Es ging ihr um einen dritten Weg zwischen Kapitalismus
und Kommunismus, um die Veränderungen in der Arbeitswelt und um erste Schritte zu einer Entwicklungspolitik im Nord-Süd-Gefälle. Wegweisende Beiträge einer christlichen Soziallehre zu unseren großen gegenwärtigen Problemen, zur Bevölkerungsexplosion und den Migrationen in der Welt, der Arbeitslosigkeit und Fremdenangst bei uns, dem Konflikt vieler Frauen zwischen Beruf und Familie, dem permissiven Wohlstand hier und der wachsenden Armut dort, dem globalisierten moralfreien Kapitalismus, dem Raubbau an der Natur, sind heute leider relativ rar.
In den frühen fünfziger Jahren war das anders. Damals übte zumal die katholische Soziallehre einen starken Einfluß aus, nicht als theologische Lehrmeisterei oder gesellschaftskritische Prophetie, wohl aber als Orientierungshilfe, als Probe auf die ethischen Werte einer sinnvoll verantworteten Freiheit. Aus ihrem Menschenbild leitete sie die Prinzipien der Solidarität, der Subsidiarität und des Gemeinwohls ab.
Grundlegende Differenzen zum Protestantismus gab es hier kaum. Freilich habe ich es stets als wohltuend empfunden, daß die evangelische Seite der Verantwortung im jeweils konkreten Fall den Vorzug vor der generellen Gesinnung gibt - ähnlich den bekannten Unterscheidungen zwischen Verantwortungsund Gesinnungsethik bei Max Weber. Man sollte also nicht einfach nur das grundsätzlich Rechte tun und die Folgen dem lieben Gott überlassen, sondern selbst vorweg die Konsequenzen des eigenen Handelns im einzelnen Fall verantwortlich prüfen.
In einem überbetrieblichen Kreis von Berufskollegen, an dem ich teilnahm, verglichen wir die Angebote der Soziallehren mit unseren täglichen Erfahrungen. Unser Kreis war auf Initiative des Kölner Rechtsanwalts Horst Rheinfels zustande gekommen. Er gehörte der rheinischen CDU an und spielte dort eine ebenso eigenwillige wie uneigennützige Rolle. Naheliegenderweise ging es uns weniger um die ethische Theorie als um praktische Anwendungsmöglichkeiten.
Wir prüften die Bedingungen für Miteigentum, Belegschaftsaktien und Investivlohn in unseren Wirtschaftszweigen. Das war leichter
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