Vier Zeiten - Erinnerungen
zur Entspannung schon mit der später sogenannten vatikanischen Ostpolitik begonnen. Immer wieder wirkte sich der Kalte Krieg auf das Verhältnis unter Mitgliedskirchen des Genfer Weltrates aus, oder er veranlaßte einige von ihnen, in Genf um Hilfe für ihre politisch bedrängte Lage zu bitten. Deshalb kam es mehrfach zu Tagungen unserer Leitungsgremien in Ländern des Ostblocks. Wir besuchten das Patriarchat der Orthodoxie in Sagorsk. Dort war die Atmosphäre herzlich, aber die Gespräche waren weniger reichhaltig als die Mahlzeiten und Getränke. In Moskau verhandelten wir mit dem für religiöse Fragen verantwortlichen Minister der sowjetischen Regierung. In Sofia und am Schwarzen Meer versuchten wir, der Christenheit auf dem Balkan zu helfen.
Die evangelischen Kirchen in der DDR bemühten sich um eine Sitzung des Exekutivausschusses bei ihnen. Da gab es zunächst Schwierigkeiten. Dank der minutiösen Protokolle der Staatssicherheit habe ich erst jetzt erfahren, daß ich es war, der
die Probleme auslöste. Die Behörden drüben wollten mir als dem westdeutschen Mitglied des Genfer Gremiums zunächst keine Einreise zur Teilnahme bewilligen. Ich konnte aber den Stasiprotokollen entnehmen, daß unser aus der Karibik stammender Genfer Generalsekretär, Philip Potter, erklärt hatte, der Weltrat werde die Tagung in der DDR absagen und dies öffentlich begründen, falls es keine Einreiseerlaubnis für mich gebe. Darauf lenkte die DDR-Behörde ein.
Wir tagten dann östlich von Berlin in Bad Saarow am Scharmützelsee. Bei einem Empfang, der uns dort von seiten des Staates gegeben wurde, traf ich den Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz in der DDR, den aus Berlin-Schöneberg stammenden Kardinal Bengsch. Er war ein charakterfester, glaubensstarker Mann, zugleich ein Berliner Original mit treffsicherer Zunge. In der Öffentlichkeit der DDR hielt er sich zurück. Als ich ihn fragte, warum er überraschenderweise zu dem Empfang gekommen sei, antwortete er, das sei in der Tat eine Ausnahme. Er wolle mir das Verständnis seiner Hauptaufgabe durchaus nicht verschweigen: nämlich dazu beizutragen, daß die katholische Kirche die nächsten zweihundert Jahre in der doppelten Diaspora gegenüber den Kommunisten einerseits und den Protestanten andererseits überleben könne. Seherisch waren die Worte zum Glück nicht, aber hart genug und so auch gemeint. Immerhin fügte er dann noch hinzu, er habe sich der Gemeinsamkeit des christlichen Zeugnisses in einer atheistischen Gesellschaft nicht entziehen wollen, und außerdem habe ihn die Neugier getrieben zu sehen, wie wir das hier machten.
Übergang zur Entspannungspolitik; der Nachbar Polen; Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche
Mehr und mehr hatte sich mittlerweile meine Tätigkeit von den wirtschaftlichen und sozialen Bereichen auf die deutschlandund außenpolitische Perspektive verlagert. Auch ohne politisches Mandat gab es für mich in diesen lebhaften sechziger Jahren viel Anreiz zur Beteiligung an Irritationen aus der Gesellschaft im engen Zusammenhang mit der internationalen Debatte über den Ost-West-Konflikt.
Bekanntlich hatte der Kalte Krieg seine Wurzeln bereits im Zweiten Weltkrieg selbst. Russische Zeithistoriker sehen heute ziemlich übereinstimmend schon in der gegen den Aggressor Deutschland geschlossenen Anti-Hitler-Koalition eine Interessengemeinschaft der Westmächte gegen die Sowjetunion. In kürzester Zeit nach Kriegsende wurde die Behandlung des besiegten Deutschland zu einem Kernstück des Konfliktes zwischen Ost und West. 1948 ersuchte die amerikanische politische Führung die Ministerpräsidenten der westlichen Bundesländer, einen westdeutschen Bundesstaat zu gründen, gedacht als vorgeschobene Bastion der westlichen Welt im Systemkonflikt mit dem Osten. Bereits 1950, nur fünf Jahre nach Kriegsende, erklärte der amerikanische Außenminister Dean Acheson westdeutsche militärische Beiträge zur Verstärkung des Westens für notwendig. Nur Frankreich erhob noch Einspruch, Stalin dagegen war alarmiert. Denn es hatte seit Lenins Zeiten zu den wichtigsten Zielen Moskaus gehört, zu verhindern, daß es zu einem deutschen militärischen Beitrag im westlichen Verbund gegen die Sowjetunion kommen könne.
Freilich hatte Stalin selbst zu dieser von ihm befürchteten Entwicklung entscheidend beigetragen. Er hatte ja den Systemkampf forciert, den ganzen werdenden Ostblock dem Marshallplan gegenüber verschlossen und die Blockade Westberlins
vom Zaun
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