Vier Zeiten - Erinnerungen
für mich inzwischen eine eingeübte und - was ich früher nie für möglich gehalten hätte - geradezu liebgewordene Beschäftigung. Dabei gab es aber eine eher wahlkampfwidrige Schwierigkeit, nämlich das persönliche Verhältnis zwischen Vogel und mir. Wir waren uns nicht in allem, aber in vielen wichtigen Berliner Fragen, zumal in den die Stadt und das Amt betreffenden nationalen und internationalen Themen, ziemlich hoffnungslos einig. Ich hatte vor seinem Charakter und seiner Leistung Respekt und empfand Zuneigung zu seiner Persönlichkeit. Es gab nicht den geringsten Zweifel für mich, daß sein Kommen ein großer Gewinn für Berlin war. Auch er begegnete mir, seinem Kontrahenten, aufrichtig und kollegial. Hier ist eine uneingeschränkt vertrauensvolle Beziehung entstanden, die unser beider Tätigkeit in Berlin weit überdauerte und die sich bis in die Gegenwart menschlich vertiefte, wie es einem im vorgerückten Alter nur selten widerfährt.
Das nahm also damals seinen Anfang, und wir mußten uns immer wieder unserer festen demokratischen Überzeugung versichern, nämlich uns dennoch streitig auseinanderzusetzen. Das ist uns einigermaßen gelungen, auch wenn wir gewiß nicht bei allen Hartschlägern in unseren jeweiligen Parteien Beifallsstürme für die Art unseres Kampfes zu entfesseln vermochten, insbesondere dann nicht, wenn der Wahlkampf mit Schüttelreimen geführt wurde, etwa diesen:
»Ein Wahlwettlauf auf Schimpf- und Mogelfüßen?
Den muß Berlin bei mir und Vogel missen!
Mir liegt zum Beispiel ein Vergleich zum Gockel fern,
denn schließlich mag ich Jochen Vogel gern.
Doch muß ich jetzt am Stuhl von Vogel sägen
und ihn vom Bürgermeister-Sockel fegen.«
Zu einer uneingeschränkt vertrauensvollen Beziehung kam es mit meinem Berliner Amtsvorgänger Hans-Jochen Vogel. Stets hatte ich Respekt vor seinem Charakter und seiner Leistung und empfand Zuneigung zu seiner Persönlichkeit. Wir teilten den Fehler, uns in Wahlkämpfen nicht so heftig zu befehden, wie unsere Parteien es sich wünschten.
So unermüdlich und durchgreifend Vogel auch arbeitete, so wurden dennoch die Probleme für ihn immer größer und die Stimmung gegen den Senat wieder schlecht. Am schlimmsten waren die Wohnungsleerstände und in ihrer Folge die Hausbesetzungen. Vogel entwickelte zur Lösung des Problems die sogenannte Berliner Linie, ein Paket von unterschiedlichen Maßnahmen zur Legalisierung, zur Duldung oder zur Räumung
rechtswidrig besetzter Häuser. Er konnte damit aber nicht verhindern, daß die Zahl der besetzten Häuser, etwa dreißig bei seinem Amtsantritt, bis zu seinem Rücktritt auf hundertneunundsechzig anwuchs. Seine Botschaft im Wahlkampf, daß es keines politischen Wechsels in der Stadt mehr bedürfe, weil ja er selbst mit seinem neuen Senat den fälligen Wechsel bereits verkörpere, verlor an Überzeugungskraft.
Am Palmsonntag 1981 kam das Faß zum Überlaufen. Während Vogel dienstlich außerhalb Berlins sein mußte, gab es wüste Zerstörungen und Gewalttaten; von einer größeren Anzahl von Schlägern wurden in einer ganzen Meile der Westberliner Prachtstraße, des Kurfürstendamms, Scheiben und Ladeneinrichtungen zertrümmert. Die Bilder solcher Gewalt beherrschten nun die Stimmung, die sich bis zum vier Wochen späteren Wahltag nicht mehr wesentlich änderte.
Am 10. Mai wurde also gewählt. Die CDU errang zwar nicht die absolute Mehrheit, aber wer hätte dies realistischerweise je in Berlin erwarten dürfen? Wir bekamen 48 Prozent der Stimmen, mehr als je zuvor und rund zehn Prozent mehr als die klassische alte Berliner Partei, die SPD. Mit knapper Not schaffte die traditionell untereinander zerstrittene FDP den Sprung ins Abgeordnetenhaus. Den relativ größten Gewinn erzielte die AL, die mit über sieben Prozent zur drittstärksten Partei wurde. Daran war nach meiner im ganzen Wahlkampf schon gehegten Auffassung die SPD selbst nicht unschuldig. Hans-Jochen Vogel hatte sich zwar stets mit Deutlichkeit gegen jeden Rechtsbruch gewandt, zugleich aber großes Verständnis für das Bedürfnis vieler, zumal jüngerer Menschen gezeigt, ihr Leben und Zusammenleben nach neuen und anderen Maßstäben zu orientieren. Diese Einsicht mochte ihn ehren, bestärkte jedoch bei nicht wenigen Wählern die Vorstellung, sie seien auf dem richtigen Weg, Vogel bestätige es ihnen ja selbst, und wenn schon anders leben, dann eben gleich alternativ wählen, aber doch nicht die alte Tante SPD.
Nun war also seit langen
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