Vier Zeiten - Erinnerungen
meiner Wahl machte ich meine Antrittsbesuche bei Präsident Reagan und bei François Mitterrand, der überdies am selben Tag wie ich gegen Giscard d’Estaing in sein neues Amt gewählt worden war und mir dadurch auch in den deutschen Medien die Schau eines Wahlkampfsiegers gestohlen hatte, ferner bei Mrs. Thatcher. Überall gab es lebhaftes Interesse für die Stimmung und den politischen Kurs in Berlin, diesem ständigen Seismographen für das Ost-West-Klima. Beim politischen Meinungsaustausch entwickelten sich nicht selten gute und nahe persönliche Beziehungen. Mitterrand zeigte sein lebhaftes Interesse an der preußischen Geschichte und Berlin wie keiner seiner Vorgänger. Mit George Bush, der damals noch Vizepräsident der USA war, kam frühzeitig ein Vertrauensverhältnis zustande. Ein freundschaftlich enger Kontakt ergab sich mit dem britischen Außenminister Lord Carrington. Ich war gerade bei ihm zu Besuch, als Argentinien überraschend die Falkland-Inseln besetzte und die britische Öffentlichkeit eine Bestrafung ihrer Regierung verlangte, weil diese nicht aufgepaßt habe. Carrington war nicht der Schuldige, aber sofort erklärte er seinen Rücktritt, um seine Kollegen und Mrs. Thatcher zu entlasten. Beim Abschied von meinem Berliner Amt schenkte er mir Zinnsoldaten der Grenadier Guards, seines Truppenteils, der bei Waterloo zusammen mit meinem Potsdamer Traditionsregiment 1815 Napoleon geschlagen hatte.
Regierender Bürgermeister; Schwerpunkt Deutschlandpolitik
Meine Arbeit begann aber natürlich nicht in der großen weiten Welt, sondern zu Hause. Erster Prüfstein war die Bildung des Senats. Nun mußte sich bewahrheiten, was ich im Wahlkampf angekündigt hatte: nicht eine Parteiherrschaft durch eine andere abzulösen, im Senat kein Monopol für Parteipolitiker, zumal nicht für die Ortsansässigen, zuzulassen, sondern frische Kräfte für Berlin zu gewinnen und mit ihnen eine gute Mischung zustande zu bringen.
Es erfüllte mich mit Überraschung und Dankbarkeit, daß die Resonanz auf meine bundesweiten Einladungen positiv und die Bereitschaft der Berliner CDU, zugunsten der Neuerwerbungen aus dem Westen selbst partiell zu verzichten, eindrucksvoll ausfielen. Sechs der zwölf Senatsmitglieder kamen aus Westdeutschland, Norbert Blüm für Bundesangelegenheiten, Hanna-Renate Laurien für Schule, Jugend und Sport, Elmar Pieroth für die Wirtschaft, Ulf Fink für Gesundheit, Sozialpolitik und Familie, der damals noch parteilose Rupert Scholz für die Justiz und Wilhelm Kewenig für Kultur und Wissenschaft. Auch für die aus Berlin kommenden Senatsmitglieder nominierte ich eine Mischung naheliegender und neuer Namen; Heinrich Lummer wurde Senator für Inneres, Gerhard Kunz übernahm die Finanzen, Edmund Wronski das Ressort Arbeit und Betriebe, dann aber, was niemand erwartet hatte, Ulrich Rastemborsky den schwierigsten Bereich des Bau- und Wohnungswesens und der bis dahin weitgehend unbekannte Volker Hassemer Stadtentwicklung und Umweltschutz.
Insgesamt habe ich den etablierten Kreisen der Berliner CDU damit viel zugemutet. Unter der Führung ihres geschäftsführenden Landesvorsitzenden und zugleich parlamentarischen Fraktionsvorsitzenden Eberhard Diepgen schickte sie sich guten Mutes in die neue Windrichtung. Es gab nur ein ganz kurzes
Aufbegehren, als unerkannt gebliebene Stimmen Elmar Pieroth bei der vorgeschriebenen geheimen Einzelwahl zum Senator zunächst einmal durchfallen ließen. Das Wort von einer »rheinland-pfälzischen Mafia« meiner »importierten« Kandidaten machte unter einigen Berlinern die Runde. Als ich aber in derselben Minute, in der der Parlamentspräsident das Scheitern der Wahl Pieroths bekannt gab, als neuen Kandidaten Elmar Pieroth vorschlug, wurde er im zweiten Wahlgang glatt gewählt.
Mein Senat war nun im Amt. Alsbald erhielt er bundesweit gute Noten. In einigen überregionalen Zeitungen wurde er gar als die derzeit beste Landesregierung apostrophiert. Jedenfalls bewährte er sich. Die Zusammenarbeit machte Freude. Aber ohne die erfahrene, kluge und bedingungslos verläßliche Mithilfe von Eberhard Diepgen, vor allem in den Reihen der Berliner Partei, hätte es bei diesem Anfang Schwierigkeiten gegeben.
Nach einiger Zeit meiner Amtsführung hieß es in den Medien, ich hätte mich vom Philosophen zum Volkstribun entwickelt. Beides war falsch. Richtig war nur, daß es mich ganz und gar erfüllte, nicht nur Ratschläge für andere ausdenken zu können, sondern sie selber
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