Vierbeinige Freunde
sie mit solchen Bitten an mich heran. Ja, es kam sogar zu Streitigkeiten aus diesem Grunde. Der andere Saal lud mich zu sich ein, mein Saal aber gab mich nicht frei.
„Ihr habt doch selber Schwestern, die mögen euch erzählen, unsere aber laßt in Ruhe“, hieß es dann immer.
Sogar die Schwerverwundeten nahmen Anteil an Kinulis Leben, fragten, wo sie sich befände und wie es ihr ginge.
Jeder Brief aus Moskau brachte mir Nachricht von Kinuli. Man schrieb mir, daß sie sich wohl fühle und daß, trotz der verringerten Besucherzahl, immer jemand an ihrem Käfig stehe.
Dann wurde mir geschrieben, daß Peri wieder krank sei, und hierauf kam die Nachricht von Peris Tod und daß Kinuli nun einsam sei.
Dann bekam ich keine Nachrichten mehr.
Wiedersehen
Anderthalb Jahre waren seitdem vergangen.
In Swerdlowsk wurde ich diese Zeit über oft gefragt, ob ich wohl glaube, daß Kinuli mich nach so langer Trennung wiedererkennen würde? Jedesmal gab ich überzeugt zur Antwort: „Ja, sie wird mich erkennen.“
Und nun war ich nach anderthalb Jahren wieder in Moskau – im Zoo. Und da war auch der Raum, in dem Kinuli sich aufhielt. Kinuli lag in einer Ecke ihres Käfigs und fraß Fleisch. Am Gitter standen auch einige Besucher. Ich stellte mich dazu. Ein neben mir stehender Mann fing an, mir von Kinuli zu erzählen: Daß sie in einer Wohnung aufgezogen worden sei, daß er ihre Pflegemutter gut kenne, daß er gehört habe, wie Kinuli einen Dieb auf den Schrank gejagt hätte, und noch manches andere aus ihrem Leben; was es alles war, hörte ich gar nicht richtig. Ich stand vor Kinuli und wagte nicht, sie anzurufen. Nicht, weil ich befürchtete, von ihr nicht erkannt zu werden, nein! Es war wie eine eifersüchtige Unruhe in mir: Und wenn nun Kinuli das Fleisch nicht im Stich läßt, sich nicht sofort zu mir wendet, mich nicht genauso wie früher umschmeichelt?
So stand ich denn vor dem Käfig, sah die große gelbe Löwin, sah auch die mir so bekannten zwei Fleckchen an ihrer Nase und rief ganz leise, im Flüsterton, ihren Namen. Kinuli hörte mich sofort, ließ das Fleisch fahren und sah mich lange und unverwandt an. Dann erhob sie sich, machte einige unsichere Schritte nach mir hin und blieb stehen.
Nun konnte ich nicht mehr an mich halten:
„Kinuli! Kinuli! Mein Kätzchen!“
Ich hatte die Worte kaum ausgesprochen, hatte kaum Zeit, ihr meine Hände in den Käfig entgegenzustrecken, als Kinuli auch schon auf mich zustürzte. Sie prallte mit solcher Wucht gegen die Stäbe, daß ihre Nase und ihre Lippen bluteten. Das Blut tropfte auf den Boden des Käfigs, tropfte auf meine Kleidung, Kinuli aber beachtete den Schmerz nicht, sie schmeichelte, schmeichelte, schmeichelte.
Lange stand ich bei Kinuli, und als ich dann doch gegangen war, suchte und fand mich der Löwenwärter im Büro.
„Wera Wassiljewna, kommen Sie doch, bitte, noch einmal zu Kinuli. Sie schlägt sich ganz wund und heult. Ich habe ihr schon Fleisch gegeben, aber sie nimmt nichts, sondern schaut immer nur nach der Tür.“
Ich ging wieder zurück. Kinuli fraß tatsächlich nicht, lief im Käfig hin und her, hielt dann wieder an, warf sich gegen die Stäbe und heulte. Vor ihrem Käfig war eine große Menge Menschen versammelt. Alle redeten auf sie ein und versuchten, sie zu beruhigen. Am meisten bemühte sich der Mann, der mir erzählt hatte, daß er die Herrin der Löwin gut kenne.
Kaum hatte mich Kinuli erblickt, als sie auch schon auf mich zukam. Dann aber stürzte sie sich auf das Fleisch, packte es mit ihren Zähnen und versuchte immer wieder, es mir durch das Gitter zuzuschieben.
Ich wäre so gern zu Kinuli in den Käfig hineingegangen, sie zu liebkosen, doch war das ohne vorherige Erlaubnis der Verwaltung unmöglich.
Erst nach einigen Tagen wurde mir erlaubt, den Käfig zu betreten, und das auch nur unter der Bedingung, daß ich alle Vorsichtsmaßregeln beachten würde. Kinuli wurde schon am Morgen in den äußeren Käfig des Löwenzwingers hinausgetrieben. Für alle Fälle wurden Stahlruten, Feuerspritze und Seilschlingen bereitgelegt und das Wasser angestellt.
Mit einem Wort, als ich ankam, waren alle diese Geräte um den Käfig verteilt, Kinuli aber lief in Angst und Schrecken im Käfig umher.
Ungeachtet der frühen Stunde hatte sich eine Menge Neugieriger eingefunden. Unter ihnen befanden sich auch Bildreporter. Wie Gewehre legten sie ihre Spiegelreflexkameras und Leicas auf mich an, jeden Moment bereit, den Auslöser zu betätigen und
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