Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt
überspannt wird. Hinter der Brücke rechts
fängt der legendäre Prado de las Lanzas, zu deutsch „die Wiese der Lanzen“ an.
Die wundersame Geschichte soll sich
hier während des Feldzugs zur Befreiung von Santiago durch Karl den Großen
ereignet haben. Am Vorabend der Schlacht gegen die Sarazenen haben die
christlichen Kämpfer ihre hölzernen Lanzen vor ihrem Zelt in die Erde gesteckt.
Am nächsten morgen haben viele dieser Stöcke grünes Laub getragen als Zeichen
dafür, daß die Besitzer dieser Waffen in der kommenden Schlacht den Märtyrertod
sterben werden. Sie waren glücklich ob dieser Gnade und zogen fröhlich gegen
die Heiden. Es sollen vierzigtausend gewesen sein, die so selig geworden sind.
Der Wald, der aus den Lanzen gewachsen ist, ist heute noch zu sehen. Auch wenn es
nur ein junger Pappelwald ist, die Geschichte dazu ist sehr alt.
Nach einem Stück Landstraße folgt ein
von der Provinzregierung neu angelegter Fußpfad, der der Trasse des
traditionellen Pilgerweges folgt. Um den Pilgern etwas Schatten zu bieten, hat
man den Rand des Pfades in der ganzen Länge mit Platanen bepflanzt, was den
Charakter der völlig baumlosen Gegend stark verändert hat. Obwohl es noch Jahre
dauern wird, bis die Bäume Schatten spenden werden, scheiden sich jetzt schon
die Geister an dieser Maßnahme. Die einen begrüßen sie als Belebung und
Verschönerung des Weges, andere finden, daß gerade diese schattenlose Kargheit
die einmalige Schönheit dieser Landschaft ausmacht. Ich bin in meiner Meinung
unschlüssig. Auch ich finde diese Bäume optisch unpassend, störend, aber ich
würde meine Meinung rasch ändern, wenn ich vor die Wahl gestellt wäre, bei +40
°C Temperatur im Schatten oder unter der prallen Sonne laufen zu müssen.
Ich passiere die kleine Einsiedelei Virgen
de Perales und komme nach Bercianos del Real Camino, auch dieses ein kleines
Lehmdorf, einfache Häuser, einfache Kirche, viele Schafe, wenig Menschen.
Immerhin gibt es eine Bar, wo ich einen Kaffee trinke. Jaap ist auch da und wir
schauen zu, wie die Männer an der Theke schon vormittags um zehn Uhr Brandy
trinken. Vielleicht würde ich es auch tun, wenn ich hier leben müßte.
Nach dem Barbesuch laufe ich mit Jaap
und wir versuchen zu analysieren, warum die an sich gute Theorie des
sozialistischen Systems in der Praxis so kläglich scheitern mußte. Wir sind in
unser Gespräch so vertieft, daß wir ohne auf den Weg zu achten auf einmal in El
Burgo Ronero, an unserem Tagesziel, angekommen sind.
Der schöne Neubau der Herberge wurde
vor einigen Jahren in der hiesigen traditionellen Bauweise aus Lehmziegel
erstellt und mit Lehmmörtel innen und außen verputzt. Da die Wände gekalkt
sind, merkt man nicht, daß sie aus diesem vermeidlich rückständigen, aber
ökologisch und wohnklimatisch wertvollen Baustoff bestehen.
In dem kleinen Dorf gibt es nichts
Großartiges zu sehen, aber die Kirche mit ihrem Ziegelturm und den zahlreichen
verschachtelten Anbauten ist recht malerisch; so mache ich in meinem Tagebuch
eine Skizze. Es kommt doch noch jemand vorbei, ein alter Bauer, der neben mir
stehen bleibt und mein Werk begutachtet. Dann sagt er etwas, wovon ich nur die
wichtigsten Wörter, nämlich bueno und artista verstehe. Ein
charmanter Schmeichler! Trotzdem freue ich mich über das Lob.
Abends gehe ich mit Paloma und Marc
essen. Paloma erzählt, daß sie heute nachmittag dabei gewesen ist, wie der
peruanische Pilger, den wir vor einigen Tagen kennengelernt haben, einem alten
Bauern tausend Pesetas, also etwa zwölf Mark, angeboten hat, wenn er ihm einen
Frosch besorgt! Als Paloma ihn verwundert fragte, was er mit dem Frosch wolle,
erzählte er, daß seine deutsche Freundin Knieschmerzen habe. Dagegen hilft nur
eine Froschsuppe, die er nach altem indianischen Rezept zubereiten möchte.
Frösche sind kalziumhaltig, gegen Gelenkschmerzen gibt es nichts besseres!
Paloma glaubt, daß der Bauer jetzt noch, Stunden nach diesem Angebot, da steht
und seinen Kopf schüttelt!
In dem Aufenthaltsraum der Herberge
gibt es einen offenen Kamin. Wir besorgen einige alte Bretter, die wir
anzünden, und einige Flaschen Wein, die wir köpfen. In weinseliger Laune halte
ich einen Vortrag über das Thema, wie man am besten eine Fliege totschlägt. Ich
habe vor Jahren einen Aufsatz gelesen, in dem diese Frage wissenschaftlich
untersucht wurde, wobei man festgestellt hat, daß die Fliegen beim Starten erst
etwa fünf Zentimeter hochspringen, und erst danach sie den
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