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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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Vorwärtsgang
einlegen. Wenn man also die Hände etwa fünf Zentimeter über der sitzenden
Fliege zusammenklatscht, ist das arme Tier in der Regel dazwischen. Es folgt
eine wilde Versuchsreihe, in der wir die Theorie mit Erfolg verifizieren.
Danach schreibt Marc in das Gästebuch:
    „Hier hat János, der berühmte
Fliegenkiller, zahlreiche Fliegen getötet.“
     
     

Mittwoch, am 2. Juli
Von El Burgo Ranero nach Mansilla de las Mulas
    Der Wegist
gleich beschaffen wie gestern, schnurgerade, mit jungen Platanen gesäumt. Die
Bäume gedeihen prächtig, vielleicht werden sie, wenn es heiß ist, gegossen. In
Stundenabstand sind Rastplätze mit Bäumen, Bänken und Steintischen angelegt.
Das nimmt viel von den legendären Schrecken dieses schattenlosen Wegabschnitts.
    Nach vier Stunden bin ich in Mansilla
de las Mulas angekommen. Auch diese Stadt muß bessere Zeiten gehabt haben, wie
die erhaltenen Reste der mächtigen mittelalterlichen Stadtbefestigung zeigen.
Der ehemalige Reichtum des Ortes als Marktplatz hat sich aus seiner
geographischen Lage ergeben: Die Bauern der Tierra de Campos und die
Viehzüchter der westlich von hier gelegenen Berge haben hier ihre Waren
ausgetauscht. Mit Sicherheit hat auch der hier durchlaufende Pilgerweg zu der
wirtschaftlichen Blüte der Stadt beigetragen.
    Vergangen und vorbei: Von der alten
Herrlichkeit ist so gut wie nichts übriggeblieben. In der von der Stadtmauer
abgezirkelten Innenstadt sind fußballplatzgroße Flächen leer und mit Unkraut
bewachsen, wie früher in manchen Städten in der DDR. Auch die meisten
ehemaligen Kirchen sind keine mehr: Wenn sie nicht zerfallen, dann sind sie
zweckentfremdet.
    Die Herberge ist sehr schön und mit
allen notwendigen Dingen ausgestattet, aber brechend voll. Es gibt sogar eine
Waschmaschine, eine gute Küche und einen gemütlichen Innenhof mit Tischen und
Stühlen. Der Hospitalero, ein sympathischer junger Mann namens Pedro, kümmert
sich um jeden einzelnen von uns; so ist diese große Ansammlung der Menschen
erträglicher.
    Der Peruaner ist mit seiner Freundin
eben angekommen. Er ist dabei, vor den im Hof anwesenden Pilgern eine kurze
Rede zu halten. Sie haben eine Botschaft, sagt er. Die Mutter Erde, die uns
alle ernährt, wird jeden Tag neu geschändet. Die Wälder werden abgeholzt, die
Gewässer verschmutzt. Da hilft nur, wenn alle Menschen jeden Tag in zehn
Schweigeminuten über dieses Problem nachdenken und so zu Besinnung kommen.
    Sie haben auch eine Stoffbahn und
Malwerkzeuge dabei, womit sie ein Transparent anfertigen, auf dem zweisprachig
zu lesen ist:
     
    „ANACONDA! 10
Minuten schweigen für die Mutter Erde!“
     
    Sie erzählen, daß sie beim nächsten
Vollmond in Santiago de Compostela sein wollen, wo sie sich mit Gleichgesinnten
treffen werden. Mit der so gebündelten Energie wird die Menschheit zur Vernunft
gebracht.
    Ich finde diesen missionarischen Eifer
rührend, aber die Spielregeln sind leider anders: Sie schweigen, die anderen
machen weiter ex und hopp.
    Wir, Marc und ich, haben eine Flasche
Wein aufgemacht. So eine Flasche hält nicht lange, aber danach fühlen wir uns
ausgezeichnet. Mein Wohlbefinden wird noch gesteigert, als Marc mich anschaut
und sagt:
    „János, ich bewundere Dich! Du weiß gar
nicht, wie ich Dich bewundere!“
    Ich mag es, wenn man mich bewundert,
aber vorsichtshalber frage ich ihn, warum er mich bewundert. Er antwortet:
    „Du sprichst gar keine Sprache! Wie
bist Du bloß so weit gekommen?“
     
     

Donnerstag, am 3. Juli
Von Mansilla de las Mulas nach León
    Der Weg ist heutenicht besonders attraktiv. Es sind nur siebzehn Kilometer, aber meistens auf
oder neben der Autoroute; auf den letzten Kilometern muß ich sogar die
Standspur einer Autobahn benutzen. Die ganze Strecke ist viel zu laut und mit
Müll bedeckt.
    León ist eine große Stadt mit
hundertfünfzigtausend Einwohnern, die sich mit viel Verkehr und vorgelagertem
Gewerbegebiet ankündigt. Hinter der Brücke über den Río Torio komme ich auf die
große Plaza Santa Ana, wo ein Informationsstand für die ankommenden Pilger
aufgestellt ist. Zwei junge Damen versuchen mit rührendem Eifer, uns Dinge über
den Jakobsweg beizubringen, die wir alle schon wissen. Es gibt kein Entrinnen,
es dauert schon seine Viertelstunde, bis wir von ihnen alles erfahren, was sie
für wissenswert erachten. Eine der Informationen ist allerdings nützlich: Trotz
anderslautenden Veröffentlichungen gibt es in León doch ein Refugio, ein
Provisorium für

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