Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt
Via Traiana mit der Via
de la Plata, was den Handel begünstigte, zweitens wurde in den nahen Bergen
Gold gefordert. Aus dieser Zeit sind noch einige Teile der fast vollständig
erhaltenen Stadtmauer, sowie ausgegrabene Grundmauern vorhanden.
Die Kathedrale Santa María ist ein
Spiegel des sich ständig ändernden Zeitgeschmacks. Der ursprünglich
spätromanische Bau wurde gotisiert, mit Türmen und Fassade im Renaissancestil
versehen und weitgehend barock ausgestattet. Nicht gerade das, was mich
begeistert.
Neben der Kathedrale steht der
burgartige Palast der Bischöfe von Astorga. Das hundert Jahre alte neugotische
Gebäude wurde nach einem Entwurf des großen spanischen Jugendstilarchitekten
Antonio Gaudi erbaut. Die für die späteren Werke Gaudis so charakteristischen
fließenden Linien sind hier nur in Andeutung, beispielsweise am Eingangstor, zu
sehen. Sonst erinnert mich das Schloß entfernt an Neuschwanstein.
Nachmittags wird es merklich wärmer. Die
Straßencafes sind auf einen Schlag bevölkert. Auch ich setze mich hin und
genieße den Blick auf die schöne Fassade des Rathauses. Nach fast dreißig
Kilometern, die ich heute gelaufen bin, fühle ich mich angenehm müde.
Werner ruft mich an. Er hat Urlaub
genommen, am 15. Juli will er kommen. Ich sage ihm, daß ich nach meiner
Berechnung spätestens am 20. Juli in Santiago bin und ich denke, für den
wenigen Tage lohnt sich die Reise nicht. Er möchte aber trotzdem kommen. Ich
schaffe es nicht, ihm zu sagen, daß ich seinen Besuch gerade an den letzten
Tagen vor Santiago nicht gut finden würde und erkläre mich schließlich bereit,
wie lange auch immer, mit ihm zu laufen. Vielleicht ist es nicht ungünstig,
wenn ich meinen schweren Gang nach Hause mit der Hilfe eines Freundes, der uns
lange und gut kennt, vorbereiten kann.
Montag, am 7. Juli
Von Astorga nach Rabanal del Camino
Da es heute richtig heiß werden soll, möchte ich möglichst früh losgehen. In
solchen Fällen habe ich damals in Frankreich schon am Abend gepackt, so daß ich
morgens, um die anderen nicht zu stören, mich nur anziehen und meinen
Schlafsack einzupacken brauchte. Auch heute will ich es so machen. Das Problem
ist nur, daß ich in der ganzen Herberge keinen Fußbreit Platz finde, wo ich
meinen Rucksack hinstellen und mich anziehen könnte. Nicht nur die Betten sind
es, auch der Fußboden zwischen den Betten ist belegt. Auch der kleine Vorraum
ist von Schlafenden besetzt, die auf den Tischen und auch darunter ihre
Schlafstellen gefunden haben. Andere, die nicht mal auf dem blanken Boden Platz
fanden, versuchen, auf den Stühlen sitzend zu schlafen. So verlasse ich die
Herberge barfuß und halb nackt. Erst auf der dunklen Straße mache ich mich
marschfertig, indem ich meine Füße eincreme und mich anziehe.
Die Veränderung der Landschaft, die
sich schon gestern abzeichnete, setzt sich fort. Die Erhebungen werden höher,
die Felder karger. Die erste Stunde führt mich auf einer schmalen Asphaltstraße
nach Murias de Rechivaldo. Hinter dem Dorf nehme ich einen Feldweg, der sanft
höher steigt, wie die gesamte heutige Strecke. Mein Tagesziel liegt in 1150
Meter Meereshöhe. König von Vach empfiehlt, den ganzen Berg Rabanal rechts zu
umrunden: „Hüte dich vor der Rabanek
ist mein Rat!“
Santa Catalina de Somoza ist eine kleine
ärmliche Siedlung an der sirga
peregrinal. Die unbefestigte Dorfstraße heißt Calle Mayor, was ich
nur damit erklären kann, daß dies nicht nur die größte sondern auch die einzige
Straße des Ortes ist. In der kleinen Bar trinke ich einen Kaffee mit Irene.
Auch ihr werde ich wahrscheinlich nicht mehr begegnen, da sie heute viel weiter
laufen möchte als ich.
Ich fühle mich wie zerrissen.
Einerseits möchte ich diese Reise möglichst schnell zu Ende bringen. Ich fühle
mich körperlich fähig, die restlichen 250 Kilometer in etwa zehn Tagen zu
bewältigen. Andererseits habe ich große Ängste davor, was mich zu Hause
erwartet. So gesehen, kann diese Reise nicht lange genug dauern.
Weite trockene Wiesen und niedriges
stacheliges Buschwerk soweit ich blicken kann. Eine landschaftlich reizvolle,
aber wirtschaftlich arme Gegend. Kein Wunder, wenn die Bevölkerung abwandert.
Dies ist in dem nächsten Dorf, in El Ganso, besonders auffällig. Über die
Hälfte der Häuser ist nicht mehr bewohnt und dem Verfall preisgegeben.
Weiter oben wächst immer mehr
Heidekraut, bis schließlich ganze Hänge im Zartlila der Blüten leuchten. Kurz
vor meinem
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