Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt
kalt.
Auch Molinaseca ist eine
Pilgersiedlung. Die in der Verlängerung der Brücke liegende Calle Real ist die
Achse, an der die Häuser des Ortes sich aufreihen. Hier lagen früher nicht nur
die Herbergen, sondern auch die Herrenhäuser reicher Kaufleute, wie die an den
Fassaden angebrachten Steinwappen zeigen.
Das Refugio befindet sich an dem
jenseitigen Ende der Stadt. Die gute Herberge ist so voll, daß neben dem
Gebäude, als Notlager, Zelte aufgestellt werden müssen. Als auch sie voll sind,
werden die späteren Ankömmlinge nach Ponferrada weitergeschickt. Das sind noch
weitere sieben Kilometer.
Antonía fragt mich, ob ich mit ihr
einen richtigen spanischen Salat essen möchte. (Offensichtlich bin ich mit
meiner Sprachlosigkeit für sie der ideale Gesprächspartner.)
Der Salat schmeckt hervorragend, der
Wein kein bißchen weniger! Wir sitzen auf der überdachten Terrasse und genießen
den schönen Abend. Später ziehen dunkle Wolken auf und schicken einen kurzen
aber heftigen Regen hinunter. Wir aber sitzen im Trockenen.
Mittwoch, am 9. Juli
Von Molinaseca nach Villafranca del Bierzo
Ich muß langsamer
laufen, sonst bin ich eher in Santiago als Werner in Spanien ankommt. Eine
idiotische Geschichte! Ich hätte mich darauf nicht einlassen sollen! Aber wer
weiß? Vielleicht brauche ich diese Verzögerung.
Auf die regnerische Nacht folgt ein
sonniger Morgen. Zwischen bewässerten Feldern und Gärten geht es weiter in das
breite fruchtbare Tal hinunter.
An der strategisch günstigen Stelle, wo
die Flüsse Boeza und Sil zusammenfließen, wurde die Stadt Pons ferratus, das heutige
Ponferrada, von den Römern erbaut. Nach langen Kämpfen zwischen Christen und
Moslems ließ sich der Templerorden im 12. Jahrhundert in der Stadt nieder und
errichtete eine die Stadt heute noch beherrschende mächtige Ritterburg. Von
hier aus haben die Templer alle anderen Ordenseinrichtungen entlang des
Pilgerweges verwaltet.
In Ponferrada angekommen besuche ich
die Basilika Nuestra Señora de la Encina, in der ein wundertätiges Gnadenbild
der Schutzpatronin des Bierzo verehrt wird. Ich setze mich auf eine Bank. In
dieser Morgenstunde bin ich der einzige Besucher. Der große leere Raum
entspricht meiner großen inneren Leere. Ich überlege, ob ich vielleicht heute
hier bleiben soll. Die Stadt ist recht groß, und wenn ich schon die Zeit auf
Werner wartend vertrödeln muß, dann kann ich das hier besser tun als demnächst
in irgendeinem kleinen Dorf. Ach Mensch, es ist doch alles so sinnlos geworden!
Ich verlasse das Gotteshaus. Vor der
Kirche begegne ich Anna, Sandy und Antonía. Sie freuen sich, mich
wiederzusehen, was mir im Moment besonders gut tut. Wir gehen in eine Bar um
die Ecke und als ich erwähne, daß ich heute in Ponferrada bleiben möchte, sind
sie einstimmig der Meinung, daß ich wohl verrückt geworden sei. „Was willst du
hier? Das kommt nicht in Frage! Du kommst mit uns! Keine Widerrede!“
Erleichtert darüber, daß sie die Entscheidung für mich getroffen haben, füge
mich dem Mehrheitsbeschluß.
Es geht also weiter. Wir überqueren den
Fluß Sil und die dahinter liegenden wenig attraktiven neueren Stadtteile und
Gewerbegebiete. In dem flachen breiten Tal, in dem wir nach Westen streben, ist
das uralte Bewässerungssystem noch vorhanden und in Gebrauch. Das in offenen
Rinnen ankommende Wasser wird mit Hilfe von Handschiebern auf den verschiedenen
Feldern verteilt. Üppig wachsendes Obst und Gemüse begleitet unseren Weg. In
dem kleinen Dorf Fuentes Nuevas gibt es sogar einen verwilderten Garten, in dem
sich die Äste von Reineclaude- und Sauerkirschbäumen unter der Last des ungepflückten
Obstes biegen. Obwohl die Damen mich vor den möglichen unangenehmen Folgen
warnen, schlage ich mir den Bauch mit den reifen Früchten so voll, daß mir
danach fast schlecht wird.
Es folgt ein Stück stark befahrener
Autostraße, von der wir uns in Cacabelos durch eine Mittagspause erholen.
Antonía verwöhnt mich mit der spanischen Sandwichspezialität, für die man den
Saft einer Tomate auf frisches Brot preßt und mit Olivenöl beträufelt. Das Öl
hat sie in einem kleinen Behälter, in dem früher Fahrradöl gewesen ist. Der
Fluß, der hinter Cacabelos fließt, heißt Cua. Wenn der Name ausgesprochen wird,
hört es sich an wie das Quaken der Frösche. Auch hier ist das Wasser zu einem
Schwimmbecken gestaut. Eine gute Einrichtung, auch wenn wir sie jetzt wegen der
relativ kühlen Witterung nicht nutzen
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