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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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Nun, die Brücke ist wieder aufgebaut, das Holz wird schon
nachdunkeln. Ich bin froh, hier zu sein, vielleicht weniger gerührt, eher
belustigt schmunzelnd.
    An den beiden angrenzenden Ufern findet
heute ein Gemüsemarkt statt. Dementsprechend ist die Brücke voller Passanten.
Zwischen die Reihen der Einheimischen mit ihren Einkaufskörben schieben sich
die dichte Massen von Touristen. Ich könnte hier mit den Füßen trampeln wie
verrückt, in diesem Sprachengewirr und Verkehrslärm, der von der parallelen
Seebrücke herflutet, würde ich es kaum hören. Dennoch suche ich einen Platz
dort, wo die alten Planken das Feuer überstanden haben und schlage mit dem Fuß
ein bißchen dagegen, als ob ich die Güte der Holzbohlen prüfen würde.
Vielleicht schaut die Mutter meines Freundes vom Himmel herunter und zwinkert
mir zu. Nur wir zwei verstehen uns in dieser Menschenmenge, aber das genügt.
    Ich besuche die Jesuitenkirche, einen wunderschönen
Barockbau. Barock ist offenbar eine südliche Angelegenheit. Je weiter ich nach
Süden komme, um so sicherer werden diese Bauten in ihrem Stil. Wie ich lese,
wurden die Jesuiten vom Stadtrat nach Luzern geholt, um mit Bildung gegen die
Verwilderung der Sitten anzukämpfen. Als besonders häufig vorkommende Sünden,
die es zu bekämpfen galt, wurden die Maßlosigkeit, Habsucht und der Ehebruch
genannt. Ich schaue noch einmal nach: Wann ist das gewesen? Nein, es ist nicht
von heute, sondern von 1560. Ich muß aber meinen ersten Gedanken revidieren, es
hat seitdem doch eine ganze Menge Änderungen gegeben. Heute sind Habsucht und
Maßlosigkeit nach Umbenennung in Gewinn und Wachstum erklärte und anerkannte
Ziele unserer Gesellschaft geworden. Und daß der Ehebruch ausgerechnet durch
Bildung zu bekämpfen wäre, auf diese Idee konnten auch nur Ahnungslose kommen!
    Die Kirche ist voller Touristen, die
einzeln oder in Gruppen sich die Hälse verrenken. Da die Orgel ziemlich laut
spielt, ist die Verständigung unter ihnen akustisch erschwert. Sie schreien
kreuz und quer, wie draußen vor den Gemüseständen.
    Ich flüchte in die benachbarte
Franziskanerkirche. Welch’ eine angenehme Überraschung! Ich werde vom Gesang
eines Chors empfangen. Es wird eine Messe von Bach geprobt, es fehlt nur noch
der letzte Schliff, die Darbietung ist schon jetzt ein Hochgenuß. Obwohl die
beiden Kirchen nebeneinander liegen, ist hier keine Kirmesstimmung, ja außer
mir sind nur zwei alte betende Frauen anwesend. Ich habe dafür keine Erklärung.
Sicher ist die Jesuitenkirche schöner als diese leicht barockisierte gotische
Franziskanerkirche, aber doch noch sehr sehenswert. Ich setze mich hin, höre
die Musik, und erlebe wieder einen dieser entspannten glücklichen Augenblicke,
die ich auf dieser Reise schon öfters genießen durfte.
    Ich gehe zurück zum Flußufer. Der Fluß
Reuss ist der durch die Stadt strömende Abfluß des Vierwaldstätter Sees. Hier
wird der Seewasserstand mit einem hundert Jahre alten Nadelwehr reguliert, das
auch das Wasser für die alte Stadtmühle abgezweigt. Der See hat durch die
Schneeschmelze und den Regen sehr viel Wasser, das jetzt mit Elementargewalt an
diesem Wehr vorbeischießt.
    Die am rechten Ufer liegende Altstadt
ist in ihrer Gesamtheit eine Fußgängerzone. Die Erdgeschosse der alten Häuser
sind für den modernen Einzelhandel stillos umgebaut, aber auf den Fassaden
darüber kann man die Romantik pur besichtigen. Die vielgepriesenen und
vielbeschriebenen Luzerner Häuserbemalungen stammen aus dem romantiksüchtigen
19. Jahrhundert und wirken so süßlich, als ob sie alle von Ludwig Richter
entworfen wären. Sie gefallen aber den vielen Touristen, eigentlich auch mir.
    Heute nacht wird die Uhr auf Sommerzeit
umgestellt. Als wenn auch die Natur heute die Jahreszeit umstellen wollte: Vor
der Hofkirche blüht trotz heftigem Schneeschauer ein Magnolienbaum.
     
     

Ostersonntag, am 30. März
Von Wolhusen nach Schüpfheim
    Ich fahre mit dem Zug
nach Wolhusen, um heute von dort meinen Weg fortzusetzen. Das Wetter ist wesentlich
besser geworden, es verspricht einen schönen Wandertag.
    Nach einem kurzen Stück auf der
Landstraße zweigt ein schmaler Fußpfad nach rechts ab, der, immer am Ufer der
Kleinen Emme bleibend, mich bis zu meinem Tagesziel führen wird. Das Flußtal verengt
sich allmählich, rauschend fließt das Wasser in seinem felsigen Bett dahin.
Hier ist der Fluß auch nicht mehr so stark reguliert wie vor Wolhusen. Die
Felsen im Flußbett bestehen aus

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