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Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt

Titel: Viermillionen Schritte bis zum Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: János Kertész
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die Höhe. Rechts von mir, in dem Wald, ist wieder eine diese
schluchtartigen Bachläufe, die ich überqueren muß. Nach meiner Karte ist ein
markierter Wanderweg vorhanden, den ich bald finde; jetzt brauche ich ihm nur
zu folgen. Unten im Tal ist es eng und feucht, die Steine sind bemoost,
umgestürzte Bäume und wucherndes Schachtelhalm bedecken den Boden. Der Bach ist
stark angeschwollen, das rauschende Wasser hat in den weichen Sandstein manche
Rinnen und Kavernen gegraben. Bald muß ich eine Brücke erreichen.
    Ich komme zu der Stelle, wo der Weg den
Bach überquert. Es gibt aber keine Brücke, nur eine Furt. Hier könnte ich bei
niedrigerem Wasserstand von Stein zu Stein hüpfend auf die andere Seite
wechseln. Jetzt ist dies unmöglich: Das dröhnend sprudelnde Wasser läßt es
nicht zu.
    Trotz Kälte überlege ich mir, ob ich
Hose und Stiefel ausziehen und durch das Wasser waten soll, aber die Strömung
ist zu stark, ich habe Angst. Es ist dieselbe Situation wie vor einer Woche am
Bockenbach: Ich muß hier hinüber, sonst bin ich gezwungen, einen riesigen Umweg
zu machen. Aber wie soll ich dieses Hindernis bewältigen?
    Ich folge dem Bachbett abwärts durch
das Gestrüpp; einen Pfad gibt es hier nicht mehr. Mehrere dicke Baumstämme, die
quer über das Wasser gestürzt sind, wollen mich zum Balanceakt verleiten, aber
vier bis fünf Meter über der Flut auf einem bemoosten Baum mit dem schweren
Rucksack den Bach zu überqueren, das erscheint mir doch zu riskant.
    Endlich finde ich eine Stelle, wo der
Bach ein wenig breiter und dadurch die Wassertiefe etwas geringer ist. Bis zu
Mitte des Baches gelange ich auf einem Baumstamm, von dort dienen einige Steine
im Wasser als Tritt. Wieder bewähren sich meine teleskopischen Wanderstöcke
gut: Bis zur vollen Länge ausgezogen, kann ich mich mit ihnen seitlich auf
anderen Steinen abstützen. Mit nassen Füßen, aber im übrigen trocken, erreiche
ich das jenseitige Ufer.
    Auch hier ist kein Pfad zu sehen, aber
im lichten Wald auf der steilen Talseite kann ich, wenngleich stellenweise auf
allen Vieren, hochsteigen. Kurz bevor ich oben am Talrand ankomme, will ich ein
Foto machen. Ich setze meinen Rucksack ab, der kippt um und poltert etwa
dreißig Meter hinunter, wo er gegen einen Baum schlägt und danach endlich
liegen bleibt. Ich steige wieder hinunter und prüfe den Schaden. Glück gehabt:
Alles blieb unbeschädigt.
    Dieses Abenteuer, das mich in Luftlinie
vielleicht dreihundert Meter weiterbrachte, hat wieder über eine Stunde
gedauert. Als Ergebnis der Kletterei tut mir das linke Knie wieder weh.
    Der weitere meist asphaltierter
Wirtschaftsweg steigt stetig höher und bietet einen großartigen Blick in
Richtung Südosten, wo in dem milchigen Mittagslicht die fernen wildgezackten, schneebedeckten
Berge sich gerade noch sehen lassen. In etwa neunhundert Meter Höhe folgt ein
schönes Waldgebiet, ein Mischwald mit altem Baumbestand.
    Kurz danach erreiche ich die
Landstraße, die direkt nach Lausanne führt. Nach etwa fünf Kilometern fangen
die wenig schönen Vororte an. Allmählich nimmt der Verkehr zu, die Straßen
werden großstädtischer und immer belebter. Die letzten Kilometer quer durch die
Innenstadt fallen steil ab bis zum Ufer des Genfer Sees. Ich folge diesem Weg:
Die Herberge befindet sich außerhalb, westlich der Innenstadt. Ich bin von der
Größe und Schönheit der Stadt sehr beeindruckt, aber auch müde, jetzt will ich
nur noch schnell unter die Dusche. Ich nehme mir vor, morgen hier einen Ruhetag
zu verbringen, damit ich die Stadt näher anschauen kann.
     
     

Dienstag, am 8 . April
Von Lausanne nach Morges
    Ich muß mich richtig zwingen, aus dem Bett zu steigen. Müde bin ich, mutlos, auch
meine Knie schmerzen. Den letzten Ruhetag habe ich erst vor fünf Tagen gehabt,
ich dürfte also gar nicht so müde sein! Ich raffe mich doch noch auf und fahre
mit dem klapprigen O-Bus in die Stadt. Lausanne zu besichtigen, bedarf einiger
körperlicher Anstrengungen. Die Stadt ist derart bergig, daß an manchen Stellen
die Fußgänger öffentliche Aufzüge benutzen müssen, um die Steigung von einer in
die andere Straße zu bewältigen. Viele Gassen sind als Treppen angelegt. Eine
kurze U-Bahnstrecke ist sogar mit Zahnradantrieb ausgerüstet. Der Hügel, auf
dem die Cathédrale steht, ist der älteste Stadtteil: Schon im 6. Jahrhundert
ist hier um die damalige Kirche ein Machtzentrum entstanden, und diesen
Charakter hat das Viertel bis in das 18. Jahrhundert

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