Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
habe. Bitte Frau Diehl, nur eine einzige Frage.“
Keine Antwort. Sie krallt sich am Türrahmen fest und starrt mich an. Ich versuche es.
„Warum haben Sie Ihr Schlafzimmer verlassen? Warum sind Sie mit dem Bett ins Wohnzimmer gegangen?“
Plötzlich wirkt die 92jährige auf mich eher verloren als aggressiv. Ich schäme mich für das, was ich hier tue … aber es muss sein. Ich wiederhole meine Frage. Als Frau Diehl mir antwortet, da lasse ich die Arme sinken. Das alte Kostüm, das ich ihr eben noch wie eine Waffe vor die Nase gehalten habe, fällt in sich zusammen.
„Damit sie mich in Ruhe lässt.“
Frau Diehl schaut auf den Boden, sie hat Tränen in den Augen. Wie ein verwundetes Tier zieht sie sich in ihre Wohnung zurück, schließt die Tür und hängt die Kette ein. Ich packe den Affen in den albernen, rosa Wäschekorb und mache mich auf den Weg in den Keller. Mein Herz klopft, als wolle es mir die Rippen brechen.
***
Es ist kurz nach drei. Ich merke, dass ich Kopfschmerzen bekomme und nehme vorsorglich eine halbe Aspirin-Tablette. Am liebsten würde ich noch einmal zu Frau Diehl gehen, mich bei ihr entschuldigen, die alte Frau in den Arm nehmen. Aber natürlich geht das nicht, ich bring sie noch um, wenn ich schon wieder an ihre Tür klopfe.
Das Affenkostüm habe ich in den Keller gebracht. Nein, ich habe es nicht wieder im rosa Körbchen neben die Tür gestellt. Ich habe es exakt dorthin zurückgebracht, wo ich es gefunden habe … beziehungsweise wo es auf mich drauf geplumpst ist. Ich habe das schwere Ding in den Kleidersack gesteckt – was übrigens sehr mühsam war in dem engen Kellerabteil – und den Sack an den Wandhaken hinter dem großen Kleiderschrank gewuchtet. Alles wie es war, das hässliche Ding kann dort unten hängen bleiben, bis ihm die Zähne ausfallen.
Ich trinke eine Tasse Kaffee (Kaffee und Aspirin, verträgt sich das überhaupt?) und überlege, was zu tun ist. Auf jeden Fall muss ich mich bei Strauss melden und ihm sagen, dass er mit seinen Vermutungen ziemlich richtig lag. Das Kostüm gehörte der Schwester Frau Diehls, sie ist damit aufgetreten. Leider ist der letzte Satz, den ich vorhin von Frau Diehl hörte, nicht ganz eindeutig. Meine Frage war: „Warum sind Sie mit dem Bett ins Wohnzimmer gegangen?“ Die Antwort der alten Frau: „Damit sie mich in Ruhe lässt.“
Wer ist „sie“? Die Schwester? Die Schwester als Affe? Die Schwester im Affenkostüm? Vielleicht die ältere Frau, von denen dieses Ehepaar mit dem Kind berichtet hat? Oder etwa das Mädchen mit den Verbänden? Oder steckt hinter all diesen Erscheinungen etwas völlig anderes?
Als ich das erste Mal bei Frau Diehl war, da hat sie mir erzählt, dass sie nach dem Krieg zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in das Herbsthaus gezogen ist. Waren die alle drei in einer Wohnung … also in der Wohnung, in der jetzt Frau Diehl alleine lebt? Oder wohnte die Schwester in der Wohnung, von der alles ausgeht? Scheiße, das hätte ich rausbekommen müssen. Obwohl … wenn das Kostüm in dem Keller hängt, der zur Spukwohnung gehört, dann muss die Schwester auch in dieser Wohnung gelebt haben. Okay Lena, du weißt nicht alles aber schon 'ne ganze Menge. Pass jetzt bitte auf, dass du bei dem bleibst, was du tatsächlich weißt … reim' dir nicht irgendwas zusammen.
Der Kaffee ist getrunken und ich wische mit nervösen Fingern auf dem verschmierten Display meines Smartphones herum, suche Strauss' Nummer. Okay, da ist sie. Ich höre das Freizeichen, einmal, zweimal, dreimal, dann nimmt jemand ab. Die Stimme kommt mir in keinster Weise bekannt vor.
„Hallo, hier bei Strauss.“
„Hallo. Hier ist Lena Pander. Könnte ich den Herrn Strauss sprechen?“
Schweigen. Im Hintergrund das laute Ticken einer Uhr.
„Wer sind Sie bitte?“
Hä? Was soll denn das jetzt?
„Ähm … ich bin eine ähm … eine wissenschaftliche Mitarbeiterin von Herrn Strauss, wir arbeiten zusammen an einem Projekt und ich müsste ihm berichten, was ich Neues herausgefunden habe.“
„Ach so … Sie sind von der Universität.“
„Ja, gewissermaßen. Also nicht direkt von der Universität aber-“
„Dem Herrn Strauss geht es nicht gut“, unterbricht mich die Unbekannte. „Er ist seit heute Morgen im Krankenhaus.“
„Ach so … ist denn was passiert?“
„Also das weiß ich auch nicht so genau. Ich bin nur die Haushälterin und man hat mich gebeten, dass ich ans Telefon gehe, solange ich noch da bin. Ist es denn
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