Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
länger davon überzeugt, dass es hier spukt und der hat mir 1500 Euro dafür gegeben, dass ich was herausfinde, bevor er den Löffel abgibt. Der hat nämlich Krebs und kann sich nicht so recht mit seinem bevorstehenden Tod anfreunden.“
Fast muss ich lachen, als ich mir Paulas verdutztes Gesicht vorstelle. Mit tellergroßen Augen würde sie mich anschauen und mich fragen, ob ich sie verarschen will. Dann würde sie sich an ihren Laptop setzen und die Nummer der nächsten Psychiatrie heraussuchen.
Ich bin zurück im vierten Stock. Paula geht gegen elf, dann werde ich versuchen, mit Frau Diehl zu sprechen. Vielleicht fällt mir bis dahin auch ein, wie ich es anstellen soll, dass sie mich überhaupt in die Wohnung lässt. Als ich unsere Tür aufschließe, da macht sich Paula bereits an der Matratze zu schaffen.
„Warte, ich helf' dir.“
Gemeinsam schleifen wir das große Ding ins Schlafzimmer und wuchten es aufs Bettgestell. Oben drauf Kissen und Decken und voilà, die nächste scheiß Nacht kann kommen.
„Puh, ganz schön schwer das Ding.“ Paula wischt sich mit der Hand über die Stirn. Sie schwitzt nicht, die Geste soll nur ihre Worte stützen.
„Ja, also ob da Blei drin wäre.“
Wir gehen zurück ins Wohnzimmer, Paula setzt sich hinter ihren Laptop, ich lasse mich auf die Couch fallen.
„Sieht doch gleich viel größer aus, oder?“
„Ja, macht echt 'nen Unterschied“, antworte ich.
„Vorhin, als du unterwegs warst, da hab ich was Komisches gesehen. Da war so ein großer, schwarzer Vogel bei uns auf dem Balkon … ein Rabe oder so was in der Art.“
„Und, hast du ihm was gegeben?“
„Nö, hätte ich sollen?“
„Der war gestern schon mal hier und hat gebettelt, Raben sind ja total intelligent. Der hat den Kopf so schräg gelegt und gewartet, dass ich ihm was gebe.“
Paula grinst mich an.
„Und wie ich dich kenne, hast du ihm was gegeben.“
„Klar, eine Traube und eine Scheibe Salami. Er wollte aber nur die Salami.“
„Ach so, deshalb liegt 'ne Traube auf dem Balkon … hab mich schon gewundert. Jedenfalls gut, dass du nicht da warst. Wenn du dem immer was gibst, dann kommt der demnächst dreimal täglich.“
Ich strecke mich auf der Couch aus und lege die Beine noch.
„Macht doch nichts, dann haben wir ein Haustier. Vielleicht können wir dem irgendwelche Tricks beibringen“
„Was denn für Tricks?“
„Keine Ahnung, alles Mögliche.“
Paula schaut mich über den Laptop hinweg an und zieht eine ihrer überaus hübsch geschwungenen Augenbrauen hoch.
„Vielleicht macht er ja für uns die Rundgänge durchs Haus. Wir müssten ihm nur beibringen, den Stift zu halten und Kreuze zu malen.“
Sie senkt den Kopf, tippt ihre Mail-Adresse und ihr Passwort ein. Ich erkenne es am Tastenanschlag. Ihr Passwort besteht aus sieben Ziffern: klack-klack-klack-klack-klack-klack-klack-klack … den letzten Klack macht die Enter-Taste.
„Nee, im Ernst. Raben kann man wirklich Kunststücke beibringen. Die fangen sogar an zu sprechen.“
Paula starrt auf den Bildschirm, liest ihre Mails.
„Nee … muss nicht sein. So viel Kohle haben wir auch nicht, dass wir 'nen fetten Vogel durchfüttern … Außerdem sind Raben irgendwie eklig.“
Elf Uhr Vormittags, Paula ist weg. Ich bin noch da und mache mir so meine Gedanken. Wie soll ich es anstellen, mit Frau Diehl in Kontakt zu kommen? Vielleicht hätte ich eine Schachtel Pralinen besorgen sollen … eine Schachtel für die Schachtel, am besten mit Broccoli-Geschmack. Schluss jetzt! Ab hier bitte ernsthaft, Lena. Das Beste wird es wohl sein, wenn ich einfach bei ihr klopfe und mich entschuldige. Vielleicht bittet sie mich ja herein. Oder ich sage ihr ins Gesicht, dass ich mit ihr über das sprechen will, was in diesem Haus vor sich geht. Wenn sie dann so tut, als wisse sie von nichts, dann frage ich sie, wieso sie sich nicht ins Schlafzimmer traut …
Nein, das ist Mist. Dann knallt sie mir wahrscheinlich die Tür vor der Nase zu. Das Beste wird sein, ich entschuldige mich bei ihr … und leite dann ganz geschmeidig zu dem über, was mich eigentlich interessiert.
Während ich gedanklich noch verschiedene Möglichkeiten der Wiederannäherung durchspiele, bin ich schon unterwegs zu Frau Diehls Tür. Sehe ich ordentlich aus? Ja, alles gut, alles wie es sein soll. Vor mir die Tür mit dem in Metall gefassten Spion, diesem gläsernen Glubschauge. Der Pflegedienst, der morgens immer zu Frau Diehl kommt, ist schon weg, die habe ich vorhin
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