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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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hinter mir. Und dafür, dass ich so etwas noch nie erlebt hatte, habe ich mich gut gehalten … sagt zumindest Alex.
    „Aber was ich nicht verstehe: Wie kann sich jemand den Bauch aufschlitzen und dabei einfach stehen bleiben. Du hast das ja auch gesehen, Lena … also auf den Monitor. Es gehört sowieso eine unmenschliche Überwindung dazu, sich ein Messer in den Bauch zu stecken … und dann noch hochzuziehen. Und der bleibt einfach stehen, knickt nicht mal zusammen. Erst nach mehreren Sekunden ist der ja umgefallen. So was hab' ich echt noch nicht erlebt.”
    Als Alex diesen Satz sagt, da sitzen wir im Zimmer von Herrn Strauss, dem Leiter des Schlaflabors. Strauss ist Neurologe und Psychotherapeut, hat mehrere Doktortitel, einen kleinen, runden Bauch, sehr viel Arbeit und deshalb nie Zeit.
    Seltsamerweise hat er nach Herrn Schlechters Selbstmordversuch sehr viel Zeit. Offensichtlich interessiert ihn die Angelegenheit. Schon viermal saßen ich und Alex seitdem in Strauss' Büro, jetzt ist es das fünfte Mal und eigentlich ist ja schon alles gesagt.
    Aber Strauss will mehr. Er fragt uns regelrecht aus, jedes Detail will er wissen: Wie sich Georg Schlechter am Abend zuvor verhalten hat. Ob er irgendetwas gesagt hat, bevor er ins Bett ging. Wie sein Gesichtsausdruck war. Wie lange genau er auf der Bettkante saß, bevor er aufstand und in die Zimmerecke ging … Ich und Alex beantworten die Fragen so gut, wie es eben geht. Wir haben uns nichts vorzuwerfen, wir haben keine Fehler gemacht …
    „Der ist einfach nicht umgefallen”, sagt Alex und schüttelt ganz leicht nur den Kopf.
    „Ja, das ist wirklich sehr merkwürdig”, antwortet Strauss. „Die Wunde war ja sehr groß … ist er ganz aufrecht stehen geblieben?”
    „Ja”, sagt Alex, „mehrere Sekunden lang.”
    „Und Sie haben das auch gesehen?”, wendet sich Strauss an mich.
    „Ja … er ist aufrecht gestanden. Erst als Herr Pfahl (so heißt Alex mit Nachnamen) schon ins Zimmer gerannt ist, ist er umgekippt.”
    Strauss krault sich den Siebentagebart (grobe Schätzung) und lehnt sich im Stuhl zurück.
    „Manchmal entwickeln Menschen in Extremsituationen ungeahnte Fähigkeiten, also zum Beispiel in Situationen enormer psychischer Angespanntheit … oder in Gefahrsituationen. Haben Sie das mit dem Traktor gelesen?”
    Alex sagt nein. Ich schüttle den Kopf und mache ein Geräusch, das ebenfalls nein heißen soll.
    „Das war vor einigen Wochen in den Medien. Da ist ein Vater mit seinem Sohn Traktor gefahren und an einem Hang ist das Fahrzeug umgekippt. Der Sohn war unter dem Traktor eingeklemmt und der Vater hat die eine Seite des Traktors angehoben, damit der Junge sich befreien konnte. Damit Sie mich nicht falsch verstehen, dieser Mann war nicht Gewichtheber, das war ein ganz durchschnittlicher Mann Mitte Vierzig. Aber in Extremsituationen entwickeln Menschen manchmal ungeahnte Fähigkeiten, ob dies nun eine enorme Körperkraft ist oder die Fähigkeit Schmerzen zu ertragen und trotz einer schweren Verletzung regungslos zu verharren.”
    Strauss streicht sich immer noch durch den Bart. Er scheint nachzudenken. Auch die Geschichte mit dem Traktor hörte sich ein wenig so an, als hätte sie der Neurologe sich selbst erzählt um seine eigenen Gedanken in Bewegung zu versetzen. Langsam fühle ich mich unwohl. Was soll ich noch hier? Wir haben doch schon alles durch. Was will Strauss noch von uns? Wir haben doch alles richtig gemacht.
    „Ich glaube, wir sollten wieder an die Arbeit gehen”, sagt Alex. „Sonst werden die Kollegen sauer.”
    Strauss reagiert mit Verzögerung. Nur widerwillig kehrt er aus seiner Gedankenwelt zu uns zurück. Er nimmt seine Hand vom Kinn und trommelt mit den Fingern auf dem beigefarbenen Plastikschreibtisch.
    „Gut … ähm, wir sind auch so weit fertig. Falls Ihnen noch irgendwas einfällt, dann melden Sie sich doch bitte bei mir.”
    „Natürlich”, sagt Alex.
    Wir gehen zur Tür und verabschieden uns. Strauss antwortet nicht. Er ist wieder bei seinen Gedanken, die Hände hat er vor der Brust gefaltet … sieht fast aus, als würde der Neurologe beten.
     
    ***
     
    „Was will der eigentlich von uns? Wir haben dem jetzt schon viermal die gleiche Geschichte erzählt.”
    Alex und ich sind einige Meter den Flur runter. Ich bin mir sicher, dass Strauss uns nicht mehr hören kann.
    „Immerhin war Herr Schlechter sein Patient“, antwortet Alex. „Vielleicht macht Strauss sich Vorwürfe, weil er nicht gemerkt hat, dass der

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