Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
meinen Teller leer.” Sie verstellt ihre Stimme, ahmt ein kleines Kind nach. Dann lässt sie meine Hand los und isst brav ihren Teller leer. Nur die dunkelgrünen Kapern lässt sie übrig.
***
Fünf Minuten später stehe ich an der Spüle – so machen wir das immer, eine kocht, die andere spült – und Paula sucht im Netz nach Wohnungsanzeigen.
„Also irgendwie ist das alles nichts.”
„Was?”
„Das ist alles nichts.”
„Du suchst ja auch erst seit fünf Minuten.”
„Trotzdem. Entweder zu teuer oder scheiß Gegend.”
Ich antworte nicht, stelle meinen Teller auf dieses Holzgerippe, das wir bei IKEA gekauft haben, und wische mir die Hände an einem Geschirrtuch ab, das ein klein wenig nach Knoblauch stinkt. Irgendwie ist alles zu eng hier. Eine größere Wohnung wäre bestimmt auch sauberer … zumindest würde sie sauberer aussehen. Paula meldet sich.
„Das ist alles Scheiße hier. Vielleicht sollten wir erst mal einfach rumfragen, also bei der Arbeit … oder irgendwelche Bekannte. Die guten Wohnungen kriegst du eh nur, wenn du jemanden kennst, das ist leider so.”
Langsam werde ich sauer.
„Du hast gerade mal fünf Minuten geschaut und schon gibst du auf. Und dann bleibt wieder alles an mir hängen.”
„Hör mal, lass uns doch einfach im Bekanntenkreis und unter den Kollegen fragen. Oft ergibt sich da was. Und falls nicht, dann können wir immer noch im Internet und in den Zeitungen schauen. Okay?”
„Okay”, sage ich und mache den Fernseher an. Vielleicht hat sie ja Recht.
Paula fährt den Computer runter, kommt zu mir, legt ihren Arm um mich und küsst mich auf die Stirn. Mein Bruder hat mal zu mir gesagt, Paula wäre mein Mann. Er hat sich nur versprochen, hat sich sogar entschuldigt. Aber irgendwie kann ich es verstehen, wenn Leute mich als die Frau und Paula als den Mann betrachten. Es sind nicht nur die Gesten. Paula hat kurzes, ich langes Haar. Sie ist auch größer und kräftiger als ich. Und auch bei handwerklichen Sachen ist sie besser.
Schluss mit diesem Männer-Frauen-Scheiß. Ich bin einfach froh, Paula zu haben. Wir sind zwei Jahre zusammen und ich liebe sie immer noch. Es wäre furchtbar für mich, würde ihr etwas passieren.
Ein Angebot
Ein Tag auf Station, einer wie die ganzen anderen auch. Das mit Herrn Schlechter ist jetzt zwei Wochen her, er ist aus der Intensivstation raus und keiner redet mehr über die Angelegenheit. Auch Strauss hat aufgehört, mich und Alex auszufragen. Fast eine Woche war ich nicht mehr bei ihm im Zimmer.
Ab und zu habe ich das Gefühl, ich sollte zu Herrn Schlechter gehen, einfach Hallo sagen und fragen, wie es geht. Schließlich war ich dabei, als sich der Mann das Leben nehmen wollte. Ich habe mich schon erkundigt, auf welcher Station er liegt. Andererseits … er kennt mich nicht, hat mich nie gesehen. An dem Abend, bevor er sich das Messer in den Bauch rammte, war Alex bei ihm, nicht ich. Was sollte ich Herrn Schlechter sagen? Etwa „Hallo, Sie kennen mich zwar nicht, aber ich weiß, wie es aussieht, wenn Sie am Verbluten sind.”? Nein, ich werde nicht zu ihm gehen. Was sollte ich dort? Ich hol mir lieber 'nen Kaffee.
Als ich die kleine Kaffeeküche betrete, ist sie schon voll mit Schwester Anne. Diese Frau ist ungefähr zwei Meter groß und einen Meter breit. Okay, ich übertreibe … sie ist etwa 1,80. Trotzdem eine imposante Erscheinung. Sie sieht aus wie eine russische Gewichtheberin.
„Hallo Frau Pander, wie geht’s?
Meine Antwort wartet sie nicht ab.
„Sagen Sie mal, Sie haben doch letztlich gemeint, dass Sie und ihr Freund eine Wohnung suchen. Ein Bekannter von mir hätte da vielleicht was für Sie und Ihren Liebsten.”
Ich überlege, ob ich ihr sagen soll, dass mein Liebster eine Liebste ist, entscheide mich aber dagegen. Man weiß nicht, wie die Leute reagieren.
„Ähm … was wäre das denn?”
„Das weiß ich auch nicht so genau. Aber Sie können ja mal bei dem anrufen und nachfragen.”
Schwester Anne zieht ein zweifach gefaltetes Stück Papier aus ihrer Hosentasche. Sie faltet es auf, hält es am ausgestreckten Arm von sich weg (ist sie weitsichtig?) und liest den Namen vor: Egner … Andreas Egner. Dann schaut sie mich an und ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. Sollte ich diesen Herrn Egner kennen?
„Ich geb' Ihnen mal den Zettel, Frau Pander. Dann rufen Sie da an und klären alles Weitere.”
„Danke”, sage ich etwas verdutzt. Ihr letzter Satz klang fast wie ein Befehl.
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