Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
selbstmordgefährdet ist.”
„Du hattest doch an dem Abend noch mit dem gesprochen. Du hast doch auch nichts gemerkt, oder?”
„Nein, eigentlich nicht. Hat im Grunde 'nen normalen Eindruck gemacht. Vielleicht ein bisschen grüblerisch … aber jetzt nicht direkt depressiv. Ich hatte zwar irgendwie ein komisches Gefühl bei dem, aber auf keinen Fall so, dass man denkt: Der will heute Schluss machen.”
„Weiß man eigentlich, wo er das Messer her hatte?”
„So weit ich weiß von zu Hause, war jedenfalls kein Krankenhausmesser … ein ganz normales Küchenmesser. Wir können die Leute ja nicht kontrollieren, ob sie Messer dabei haben.”
„Nee, natürlich nicht.”
Alex zuckt mit den Schultern.
„So etwas passiert einfach, das kann man wahrscheinlich nicht verhindern. Wir beide haben einfach nur Pech gehabt, dass es in unserer Schicht passiert ist. Na ja, wie auch immer … ich muss hier lang, man sieht sich.”
Er biegt links ab, ich gehe weiter geradeaus … Richtung Schlaflabor. Es ist kurz nach acht, in zwei Stunden ist meine Schicht zu Ende. Noch ein bisschen Papierkram erledigen, zwei Patientengespräche und dann nach Hause. Paula hat gesagt, dass sie heute etwas kocht. Sie ist eine mutige, allerdings keine besonders gute Köchin. Mal sehen, was es gibt … und ob es noch zu retten ist.
***
„Wir müssen uns echt 'ne größere Wohnung zulegen.”
Paula verdreht die Augen, als ich das sage. Sie stochert in ihren Spaghetti, schiebt zwei Kapern Richtung Tellerrand.
„Und wie sollen wir die bezahlen? Du bist Studentin und ich bin in der Ausbildung.”
Die Kapern wandern noch ein wenig weiter Richtung Abgrund, gleich fallen die matschigen Knospen auf den Tisch. Wieso macht Paula die Dinger eigentlich in die Soße, wenn sie sie später wieder aussortiert? Mir zuliebe? Hab ich mal gesagt, dass ich Kapern liebe?
„Komm schon Paula, lass uns zumindest darüber reden. Die Wohnung hier ist auch nicht billig, eigentlich zahlen wir sogar zu viel für die 35 Quadratmeter. Ich glaube, dass wir für das gleiche Geld was Größeres bekommen, vielleicht was mit zwei Zimmern und Balkon.”
„Aber nicht in dieser Gegend”, antwortet Paula.
„Okay, vielleicht nicht in dieser Gegend. Aber mir wäre eine größere Wohnung wichtiger als die Gegend. Dann können wir uns auch mal aus dem Weg gehen.”
Paula grinst mich an.
„Geh ich dir auf die Nerven, meine Süße?”
Ich grinse zurück. Eigentlich mag ich es ja nicht, wenn sie mich „Süße” nennt, das klingt so tussig.
„Wenn man in einem Zimmer zusammenhockt, dann geht man sich zwangsläufig auf die Nerven … früher oder später. Man muss sich auch mal aus dem Weg gehen können.”
Paula hat zwei weitere Kapern gefunden und schiebt sie an den Tellerrand. Am liebsten würde ich sie fragen, warum sie diese Dinger ins Essen macht, wenn sie sie nicht mag. Aber aus der festen Überzeugung heraus, dass man in einer Partnerschaft auch mal die Klappe halten muss, halte ich ebendiese und trinke einen Schluck Rotwein.
„Wahrscheinlich hast du Recht”, sagt Paula. „ Vielleicht sollten wir uns wirklich nach einer größeren Wohnung umsehen. Dann hast du vielleicht auch weniger Schiss, dass uns jemand beim Sex zuhört.”
Darauf antworte ich nicht. Paula mag meine Angst albern finden … aber sie ist nun einmal da, diese Angst. Und was heißt überhaupt „Angst”, ich WILL schlicht und einfach nicht, dass uns die Nachbarn dabei zuhören. Bin ich jetzt verklemmt? Bin ich jetzt spießig? Mir doch egal!
„Hab's nicht so gemeint … sorry.”
„Schon okay.”
Ich lege die Gabel weg und strecke die Hand über den Tisch. Sie nimmt sie, drückt sie kurz, streichelt dann die Oberseite meiner Finger. Es kitzelt … allerdings nicht so stark, dass ich meine Hand wegziehen muss.
„Wie geht es dir überhaupt?”, fragt sie mich. „Denkst du noch oft an die Sache mit dem Typen, der sich umbringen wollte?”
„Nein, nicht so oft. Ich hatte ja Angst, dass ich Alpträume oder Schlafstörungen oder so was bekomme. Aber bisher war nichts.”
Paula lächelt mich an. Sie sieht gut aus mit ihren kurzen, platinblond gefärbten Haaren … allerdings auch ein bisschen hart.
„Hätte mich auch gewundert, wenn du Alpträume bekommst. Du hast schon immer geschlafen wie ein Stein. Du rollst dich sogar zusammen und siehst dann aus wie ein Stein.”
„Red' kein Blödsinn, iss lieber deinen Teller leer, damit ich abwaschen kann.”
„Ja, Mama, ich ess'
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