Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
und ich trete in eine Art Empfangshalle. Wer immer das hier entworfen hat, er hatte einen wagemutigen Geschmack. Der Boden ist von beigefarbenen Fliesen bedeckt, an den rot gestrichenen Wänden laufen goldene Handläufe, die Briefkästen sind verschnörkelte, kleine Kunstwerke. Ich hatte mir das Haus nicht so groß vorgestellt.
„Nicht schlecht, was?”, meldet sich Herr Brandt. „Müsste nur mal richtig aufpoliert werden. Wäre jedenfalls schade, wenn das alles abgerissen wird.”
„Allerdings”, antworte ich. Die Eingangshalle erinnert mich an einen alten Kinosaal. Fehlen nur die roten Plüschsessel. Als ich nach rechts schaue, trübt sich meine Begeisterung. Eine der roten Wände hat eine etwa vier Quadratmeter große, graubraune Wunde. Hier fehlt etwas, etwas wurde aus der Wand gerissen. Mein Blick verharrt auf diesem Fleck und Herr Brandt bemerkt es.
„Das ist natürlich eine Schande, dass das entfernt wurde. Da war früher ein großes Mosaik, eine wirklich sehr schöne Arbeit. Das war eine Herbstszene, mit bunten Blättern und allem. Wurde vor ein paar Jahren entfernt, weil das wohl recht wertvoll war. Ist jetzt irgendwo im Museum. Wegen dieser Herbstszene wurde das Haus hier auch immer Herbsthaus genannt.“
Brandt macht eine Pause und zieht den Rotz hoch.
„Das anderer Haus, also das wo noch steht, das war das Leguanhaus. Dort war ein Mosaik mit einer Dschungelszene und einem großen Leguan. Und das hier war eben das Herbsthaus.“
„Ist dieses Dschungelmosaik auch im Museum?”
„Dat weiß ich nicht, junge Frau. Da bin ich jetzt überfragt. Aber das Herbstbild auf jeden Fall. Ich hab ja mitbekommen, wie die das von der Wand gepult haben. Da waren drei Leute fast 'ne Woche beschäftigt. Die mussten das ganz vorsichtig machen, damit da nichts kaputt geht. Dieses Dschungelmosaik, das wurde schon früher entfernt, da war ich hier noch gar nicht zuständig. Aber ob das jetzt auch im Museum ist … keine Ahnung. Vielleicht hat sich das auch einer im Wohnzimmer an die Wand geklebt.”
„Sind Sie für beide Häuser zuständig. Als auch für dieses Dschungelhaus?”
„Meinen Sie das Leguanhaus?”
„Ja, genau. Das Leguanhaus.”
„Nee, nicht mehr. Da ham die schon jemand für die Hauswache.”
„Und Sie wohnen auch nicht hier?”
Nee-nee, ich wohn außerhalb. Ich bin nicht so für die Stadt, ich brauch Platz um mich rum. Sollen wir mal nach oben gehen?”
„Ja gerne.”
„Dann mal los.”
Herr Brandt hustet und setzt sich ein wenig schwerfällig in Bewegung. In der Mitte der großen Eingangshalle befindet sich ein kleiner, runder Innenhof.
„Dat is alles hinüber.” Herr Brandt zeigt auf das halb verweste Gestrüpp, das den Innenhof ziert. „Schade, dass das alles so runtergekommen ist. Hier wohnt ja auch keiner mehr, nur noch eine Familie und oben 'ne steinalte Frau. Alle anderen sind raus.”
„Wieso vermietet der Herr Egner die Wohnungen nicht neu.”
„Dem Egner gehört das Haus erst seit einem halben Jahr und der überlegt, was er damit machen soll. Entweder komplett sanieren oder abreißen. Davor hat das so einem Verein gehört, der alte Häuser gekauft hat … irgendwas mit Denkmalpflege und so. Aber der ganze Verein war ein absoluter Schwindel, die haben das alles verkommen lassen. Die haben auch nicht neu vermietet, wenn jemand raus ist. Und spätestens als es dann gebrannt hat und alles hier nach Rauch gestunken hat, sind auch die letzten weg. Das is echt den Bach runtergegangen. Und der Egner ist momentan ganz froh, wenn er keine neuen Mieter hat. Der überlegt ja, was er mit den Häusern machen soll, vielleicht kommen die ja ganz weg und hier wird was Neues gebaut. Ach ja, falls Sie hier einziehen: Nicht den Aufzug benutzen, dem Ding ist nicht zu trauen.”
„Okay”, sage ich. Herr Brandt holt erst einmal Luft.
Wir betreten einen etwa zwei Meter breiten Korridor. Er liegt dem Hauseingang exakt gegenüber. Rechts der Aufzug, dem nicht zu trauen ist. Ein dunkler Schacht hinter verschnörkelten, schmiedeeisernen Türen. Die Kabine ist gerade auf einer anderen Etage. Herr Brandt öffnet eine Metalltür und hält sie mir auf.
„So, jetzt ist Treppensteigen angesagt. Ich hoffe, sie sind sportlich.”
Jedenfalls sportlicher als du, denke ich.
„Geht so”, sage ich.
„Ihre Wohnung wäre im vierten Stock. Auf dieser Etage wohnt noch eine ältere Dame, die allerdings nicht mehr oft raus kommt. Und im zweiten Stock ist noch eine Familie … die sind ein bisschen
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