Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
was sagst du? Hat es dir die Sprache verschlagen?“
Ja verdammt, das hat es. In meiner Körpermitte sitzt ein fetter Knoten, ein Gewirr aus Stricken, das mich zusammenschnürt. Als eines der Seile reißt, als ich wieder Luft bekomme und anfange zu sprechen, da bin ich selbst überrascht über die Eiseskälte meiner Stimme.
„Zieh dieses Kleid aus.”
„Was?”
„ZIEH DIESES VERDAMMTE KLEID AUS!”
Paula ist erschrocken, tritt einen Schritt zurück und nimmt die Hände vor den Körper. Nur langsam verschwindet das Lächeln aus ihrem Gesicht. Sie versteht nicht, warum ich sie anschreie. Sie hat es doch nur gut gemeint.
„WO HAST DU DAS VERDAMMTE DING HER?”
Sie schaut mich mit großen Augen an. In ihrem Blick nichts als Unverständnis.
„Lena, jetzt komm mal wieder runter. Was ist los mit dir?”
„Zieh bitte dieses Kleid aus”, presse ich hervor. Plötzlich ist der Knoten wieder da. Aber Paula hat mich verstanden.
„Okay okay, ich dachte nur-”
„Zieh bitte das Ding aus, zieh bitte sofort das Ding aus.”
„Ja klar … natürlich.” Paula knöpft das gelbe Kleid auf, das gelbe Kleid mit den Rüschen, das Kleid mit dem Kragen und mit den altmodischen, großen Knöpfen. Schon steht sie in Unterwäsche vor mir und das Ding ist nur noch ein Haufen zerknitterter Stoff auf dem Fußboden.
Paula hat die Arme vor dem Körper … als müsste sie vor mir ihre Nacktheit verbergen.
***
„Scheiße Lena, was ist los mir dir? Ich dachte, ich mach dir 'ne Freude damit. Das ist doch nur ein altes Kleid.”
Wir sitzen nebeneinander auf dem Sofa. Paula hat sich ihren Bademantel angezogen, ich starre auf den Stoffhaufen zwei Meter vor mir.
„Tut mir leid, dass ich so reagiert habe. Aber wo hast du das her? Wo hast du dieses Kleid her?”
Paula zögert, sie erwartet eine Erklärung von mir und hat stattdessen eine Frage bekommen. Dann antwortet sie doch.
„Von unten … aus dem Keller. Ich hab die Wäsche gemacht und da war mir langweilig. Ich hab mir die Kellerabteile angeschaut und da ist noch alles mögliche Zeugs. Und in so einem alten Abteil hab ich dieses Kleid gefunden. Hätte ich gewusst, dass du so reagierst, hätte ich das doch niemals angezogen. Ich hab echt gedacht, ich mach dir ne Freude damit … ich hab echt gedacht, du findest das sexy. Und jetzt erklär' mir gefälligst, warum du mich gerade so angebrüllt hast?”
Ich lege meinen Kopf an Paulas Schulter und flüstere eine Entschuldigung. Ich wollte sie doch gar nicht anbrüllen, es kam einfach so raus. Ich war einfach so erschrocken, als ich das Kleid sah … als ich es wiedersah.
„Du erinnerst dich doch, dass ich vor einer Woche diesen Alptraum hatte … als ich nachts ins Bad gegangen bin und an die Wanne getreten habe. Ich hab' doch geträumt, dass ich raus auf den Flur gegangen bin. Und dort, wo es zum Aufzug und zum Treppenhaus geht, da lagen irgendwelche alten Kleider auf dem Boden. Das war bevor ich dieses große schwarze Tier gesehen hab.”
„Scheiße”, sagt Paula und streicht mir über den Kopf. Sie weiß schon, was jetzt kommt.
„Und dieses Kleid da”, ich zeige auf den Haufen Stoff, „als ich das gerade gesehen habe, da war ich mir sicher, dass es eines der Kleider aus meinem Traum war. Ich bin mir auch jetzt noch sicher … das ist eines von denen.”
Etwa eine Minute sitzen wir nur da, keine von uns sagt etwas. Die Stille wird nur durch das Gluckern des Kühlschrankes gestört. Er klingt als ob er sich verschluckt hätte.
„Das kann doch einfach Zufall sein … also dass dieses Kleid eben so ähnlich aussieht wie das Kleid in deinem Traum.”
Ich sage Paula, dass dies ein extrem unwahrscheinlicher Zufall wäre. Und es sieht auch nicht nur „so ähnlich” aus.
„Oder du warst selbst mal im Keller und hast das Kleid dort gesehen.”
Nein, ich war nicht im Keller, mit Sicherheit nicht. Ich sage es ihr. Paula streckt sich und küsst meine Stirn.
„Es ist doch nur ein altes Kleid, ich bringe es auch gleich wieder runter.”
Als ich nicht antworte, da steht Paula auf, zieht sich T-Shirt und Jeans an und verlässt mit dem alten Fetzen die Wohnung. Dreh ich jetzt durch? Sollte ich mich bei Dr. Strauss melden und ihm erzählen, was mir passiert ist? Einige Minuten sitze ich schweigend da, doch plötzlich habe ich furchtbare Angst um Paula. Sie soll nicht alleine im Haus herumlaufen. Ich springe auf, öffne die Wohnungstür und betrete den Flur.
Erst höre ich nur ganz leise den Fernseher von Frau
Weitere Kostenlose Bücher