Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
betrete die Eingangshalle, schließe hinter mir ab und gehe am aufgegebenen Restaurant und dem kleinen, kreisrunden Innenhof vorbei Richtung Treppenhaus. Als ich am Aufzug ankomme, da gehe ich etwas schneller, das Ding macht mir Angst. Vielleicht hat es ja doch so etwas wie ein Eigenleben, vielleicht fährt es doch rauf und runter … nachts, wenn alle schlafen … alle außer mir. Schluss damit! Selbst wenn er sich ab und zu in Bewegung setzt … dann hat das rationale, technisch nachvollziehbare Gründe. Irgendein Fehler in der Elektronik, eine durchgebrannte Sicherung, verdreckte Schaltkreise … ach, was weiß ich denn.
Als ich schon im Treppenhaus bin, da höre ich etwas … hinter mir. Ich kenne das Geräusch, natürlich kenne ich es. Wie festgenagelt bleibe ich stehen. Die Kabine kommt, der Aufzug arbeitet, das verdammte Ding fährt. Kaum denkt man darüber nach, schon fährt er. Hat er gemerkt, dass ich da bin? Weiß er, dass ich an ihn gedacht habe?
Ich warte einige Sekunden, dann zwinge ich mich dazu, ich zwinge mich zurückzugehen, zurück in diesen verdammten Flur. Rationale, technisch nachvollziehbare Gründe, Lena. Rational! Technisch! Und verdammt noch mal nachvollziehbar! Und dass er gerade jetzt kommt, das ist nichts weiter als ein bescheuerter Zufall.
Das Geräusch wird lauter, gleich ist sie da, diese Kabine, die aussieht wie ein großes, rotes Maul, dem alle Zähne fehlen. Wollen doch mal sehen, wer oder was da angefahren kommt. Oder fährt er doch alleine, der alte Kasten?
Ich bin da, bin ihm gegenübergetreten. Das Metallgitter öffnet sich und vor mir steht eine sehr junge Frau in einem weißen Kittel. Über die Schulter hat sie einen rosafarbenen Rucksack geworfen.
„Hallo”, sagt das Mädchen und schaut mich mit großen wasserblauen Augen an. Ich stehe ihr im Weg, sie wartet, dass ich zur Seite gehe. Sie kennt mich nicht und ich kenne sie nicht.
„Hallo”, stammle ich. „Ähm … waren Sie bei der Frau Diehl? Sind Sie ähm … sind Sie vom … ”
„Ja genau, ich bin vom Roten Kreuz.”
Sie streckt mir ihre Hand entgegen und ich nehme sie. Sie sagt mir ihren Namen aber ich merke ihn mir nicht. Marie oder Maria, vielleicht auch Marianne. Irgendwas mit Ma- am Anfang. Auch ich stelle mich vor.
„Ich heiße Lena. Lena Pander. Ich bin hier für das Haus verantwortlich. Ähm, ich wollte dich bitten, nicht den Aufzug zu benutzen. Der wird nicht mehr gewartet und es kann passieren, dass der stecken bleibt. Könntest du das auch deinen Kollegen sagen?”
„Ja natürlich”, antwortet das Mädchen. „Das wusste ich nicht, ich war heute das erste Mal hier. Tut mir echt leid.”
„Kein Problem, ich wollte das nur sagen … nicht dass da jemandem was passiert.”
Sie schiebt sich an mir vorbei und verabschiedet sich. Ich komme mir ein bisschen blöd, aber auch ein bisschen wichtig vor. Vielleicht fühlt man sich ja so, als Hausmeister. Ein letzter Blick auf den Aufzug und dann ab ins Treppenhaus, ein bisschen Sport machen.
Gerade drehe ich den Schlüssel im Schloss, als ich Paulas Stimme höre.
„Moment. Nicht reinkommen.”
„Wieso nicht?”, frage ich durch die geschlossene Tür.
„Kleinen Moment.”
Ich höre ihre Schritte. Sie nähern sich der Wohnungstür. Die Tür öffnet sich einen Spalt und ich sehe in Paulas bis über beide Ohren grinsendes Gesicht. Ganz automatisch grinse auch ich.
„Hallo meine Süße”, flötet Paula. „Mach mal die Augen zu.”
Ich frage sie, warum ich die Augen schließen soll.
„Jetzt mach schon”, sagt Paula. „Und wehe du spickst.”
Ich schließe die Augen und denke darüber nach, wann ich zuletzt das Wort „spicken” gehört habe. Muss in der Schule gewesen sein. Paula nimmt mich an die Hand und zieht mich in die Wohnung.
„Wehe du schaust.”
„Ja-ja, ich schau' nicht.”
Wir gehen ein paar Meter, dann lässt sie meine Hand los. Durch meine Augenlider hindurch nehme ich das Licht wahr, das durch das große Fenster fällt.
„Okay, bleib hier stehen. Ich sag dir, wenn du die Augen aufmachen kannst.”
Ein leises Rascheln, dann räuspert sich Paula. Was will sie mir zeigen?
„Okay, jetzt kannst du schauen.”
Ich öffne die Augen und sehe Paulas Gesicht. Ich schaue an ihr herunter und kann es nicht fassen. Alles geht plötzlich durcheinander, die Gedanken finden ihre Richtung nicht, laufen im Kreis und blockieren sich gegenseitig. Ich bringe kein Wort heraus, starre nur irritiert auf das, was da vor mir steht.
„Na,
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