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Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)

Titel: Vierter Stock Herbsthaus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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Diehl, dann höre ich eine Tür und Schritte. Ich gehe Paula entgegen und wir umarmen uns wortlos. Ich würde gerne weinen, kann aber nicht. Ich weiß, dass etwas nicht stimmt … und ich habe Angst, dass ich es bin, dass mit mir etwas nicht stimmt. Am liebsten würde ich wieder ausziehen.
     
    ***
     
    Es ist kurz vor halb elf, als Paula es sagt. Wir sitzen vor dem Fernseher und schauen die Nachrichten.
    „Vielleicht solltest du doch mal mit diesem Arzt sprechen.”
    Ich weiß sofort, wen sie meint, frage aber trotzdem.
    „Na mit dem vom Schlaflabor, der so oft wissen wollte, wie es dir geht. Der ist doch Psychologe, oder?”
    „Der ist alles Mögliche. Psychiater und Neurologe und noch irgendwas.”
    „Willst du nicht mal zu dem gehen? Der hat dir das doch angeboten.”
    Ich antworte nicht, spiele mit der Fernbedienung. Der Daumen meiner rechten Hand gleitet über die kleinen, wabbeligen Gummiknöpfe. Die Fernbedienung ist alt, ein mattschwarzer Plastikklotz mit Batteriefach. Man kann an ihr erkennen, welche Sender wir bevorzugen. Die Taste für die 1 ist abgenutzt, die Zahl kaum mehr zu erkennen. Auch die 7 sieht schon sehr blass aus, Schweiß und Reibung haben der Farbe zugesetzt. Die 6 hingegen sieht aus wie neu. Anscheinend haben wir in den letzten Jahren wenig RTL2 geschaut … spricht ja eigentlich für uns.
    „Hallo! Lena! Hörst du mir zu?”
    „Ja klar. Was hast du gerade gesagt?”
    „Ich hab dich gefragt, ob du nicht mal zu diesem Psychiater gehen möchtest. Vielleicht hat dir das mit dem Selbstmordversuch doch mehr zugesetzt, als wir gedacht haben.”
    Ich lege die Fernbedienung weg. Dann nehme ich sie wieder und schalte den Ton aus. Auf dem Schirm lodern Flammen, Terroranschlag, Zugunglück, brennende Ölraffinerie … irgendwas in der Art.
    „Das mit Herrn Schlechter ist doch schon ewig her”, sage ich.
    „Gerade mal zwei Wochen”, antwortet Paula.
    „Das sind mehr als zwei Wochen.”
    „Okay, dann sind es eben mehr als zwei Wochen. Trotzdem war das eine ziemlich heftige Erfahrung.”
    „Wenn ich mit so was nicht klarkomme, dann sollte ich nicht Medizin studieren. Das gehört dazu, solche Situationen hat man jeden Tag im Krankenhaus.”
    Paula atmet hörbar aus. Es klingt genervt.
    „Ich glaube kaum, dass sich da jeden Tag jemand ein Messer in den Bauch rammt.”
    „Okay, das vielleicht nicht, aber-”
    „Jetzt warte bitte mal”, unterbricht mich Paula. „Alles was ich sagen will ist: Vielleicht solltest du einfach mal mit diesem Psychologen sprechen.”
    Sie lässt einfach nicht locker.
    „Warum denkt eigentlich jeder, dass ich jetzt irgendwie psychische Probleme haben müsste. Wenn die Sache für jemanden heftig war, dann für den Typ, der dem das Leben gerettet hat. Der hat dem seine scheiß Wunde mit den Händen zugehalten, der war von oben bis unten voll mit Blut.”
    „Is' ja okay, ich meine ja nur.”
    „Oder denkst du, dass ich so ein zartes Pflänzchen bin, dass ich gleich Probleme bekomme, wenn ich mal Blut und Wunden sehe. Ich bin sogar nachher in das Zimmer und hab mit Alex gesprochen. Der war übrigens ziemlich fertig nach dem, was da passiert ist. Um den müsste man sich viel eher Sorgen machen.”
    Ich mache eine Pause, auch Paula sagt nichts. Ich höre das leise Ticken unserer Wanduhr. Zehnmal tickt sie, bevor ich weiterspreche.
    „Vielleicht stimmt ja auch mit diesem komischen Haus was nicht. Vielleicht bin ich ja völlig in Ordnung und mit diesem Haus ist irgendwas komisch. Hast du dir das mal überlegt?”
    „Ähm … nee”, sagt Paula. Sie sagt es in diesem ironisch-abschätzigen Ton, den ich so hasse. Aber ich rede weiter, soll sie doch von mir denken, was sie will. Dann bin ich eben das kleine Mädchen, das an Gespenster glaubt. Ist mir scheißegal. Einfach weiter!
    „Ich hab schon ein paar Mal gedacht, dass hier was nicht stimmt. Schon als ich das erste Mal mit Herrn Brandt hier war, kam mir was komisch vor. Und mit dieser Frau Diehl stimmt auch irgendwas nicht.”
    „Wie kommst du denn jetzt auf die Frau Diehl?”
    „Jetzt frag nicht so blöd! Du hast doch auch gemerkt, dass immer eine ganz komische Atmosphäre war, wenn wir bei der waren. Ich hab immer gedacht: Da ist was faul.”
    „Können wir das Thema wechseln? Mir wird das gerade etwas zu strange hier.”
    „Nein, wir wechseln nicht das Thema. Hier ist eine ganz komische Atmosphäre, ich hab ganz oft das Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt. Und das mit dem Kleid vorhin war keine Einbildung.

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