Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
War jedenfalls total merkwürdig.“
„Was hast du geträumt? Erzähl mal.”
Ich zögere, ich weiß nicht, ob ich ihr davon erzählen will. Aber okay, wieso eigentlich nicht. Der Traum wird nicht wiederkommen, nur weil ich ihn in Worte fasse.
„Du hast irgendwas von Insekten gesagt … also vorhin im Badezimmer.”
„Ja … die Insekten … Also ich weiß noch, dass ich ins Bad bin und dann, dann muss ich wohl irgendwie eingeschlafen sein, und dann dachte ich ...”
Ich erzähle Paula meinen Traum. Ich erzähle ihr von den metallisch mahlenden Geräuschen des Aufzugs, von dem Feuerlöscher, der mit mir sprechen wollte, von den alten Kleidern, die auf dem Boden lagen, und von dem großen Tier, das am Ende des Flurs stand. Ich erzähle ihr, dass ich nicht wusste, wo ich hin sollte, dass ich erst zu ihr wollte und dann in die Wohnung mit den aufgespießten Insekten. Und bevor ich etwas unternehmen konnte, bevor ich versuchen konnte, an dem großen Tier vorbeizuhuschen, war der Traum zu Ende.
„Das ist echt abgedreht. Das solltest du aufschreiben, sonst vergisst du das wieder.”
Ich sitze in diesem großen Sessel und komme mir vor wie eine alte Frau. Auf einmal stört das Plüschige um mich herum, es ist weich und mürbe, man wird aufgefressen von dem Ding. Aber ich will Klarheit, frische Luft, keine klebrige Gemütlichkeit. Ich möchte mit nacktem Hintern auf einem Eisblock sitzen, der mitten im Meer treibt.
„Vielleicht mache ich das nachher. Ich geh jetzt jedenfalls wieder ins Bett und ich hab' absolut keine Lust, mich weiter über den Scheiß zu unterhalten. Hier ist übrigens total schlechte Luft drin, ich mach mal das Fenster auf.”
Ich stehe mit einem Ruck auf und drücke mich an Paula vorbei. Sie schaut erstaunt zu mir auf, sagt aber nichts.
„Kommst du?”, frage ich.
„Äh … ja klar.”
Zurück im Schlafzimmer. Ich öffne das Fenster, lege mich hin. Es hat etwas Militärisches, dieses mein Zu-Bett-Gehen, es ist das Gegengewicht zu dem Chaos, aus dem mich Paula gerade herausgerüttelt hat. Hinlegen! Zudecken! Kopf mittig auf das Kissen! Augen geradeaus und schließen! Schlafen! Kleine, ungefährliche Träume träumen! Ordnung muss herrschen in Hypnos Reich!
Nach einer halben Stunde bin ich wieder auf.
„Alles okay?”, fragt mich Paula. Sie klingt verschlafen, gleich ist sie wieder weg, bei ihren eigenen Traumgestalten.
„Alles okay”, antworte ich. „Mach dir keine Sorgen.”
Ich verlasse unser kleines Schlafzimmer, setzte mich an den Küchentisch, suche mir Stift und Papier. Es ist völlig still um mich herum. Nur das leise Schnarchen Paulas, ich habe die Tür aufgelassen.
Eine halbe Stunde später habe ich meinen Traum in Worte gefasst … so gut es eben ging. Eine Sache ist mir nicht klar: Wann begann dieser Traum? Als ich mich, davon habe ich ja überhaupt nichts mitbekommen, im Badezimmer hingelegt habe? Oder schon als ich ins Badezimmer gelaufen bin? Habe ich also geträumt, dass ich ins Badezimmer laufe, während ich ins Badezimmer schlafgewandelt bin?
Mir fällt etwas ein: Als ich aufgestanden bin, da habe ich auf den Radiowecker geschaut. Es war unser alter Radiowecker, der mit den großen roten Digitalziffern. Aber den haben wir doch längst weggeschmissen, der war viel zu hell, hat immer das ganze Zimmer rot ausgeleuchtet. Ich habe folglich geträumt, dass ich aufstehe, und dabei bin ich aufgestanden. Ich bin also tatsächlich schlafgewandelt, ich bin ins Bad gegangen, habe mich auf den Boden gelegt und gegen die Badewanne getreten. Bei dieser Erkenntnis läuft es mir kalt den Rücken herunter … eher noch fühlt es sich an, als zöge jemand einen mit Eiswasser getränkten Waschlappen unter meiner Haut entlang. Was, wenn ich auf den Balkon gegangen und über das Geländer geklettert wäre? Was, wenn ich mit einem der großen Küchenmesser gespielt hätte? Und was, wenn ich draußen auf dem dunklen Flur aufgewacht wäre?
Mein Blick wandert zur Wohnungstür, mein Körper spannt sich. Und dann greift der Verstand ein: Reiß dich zusammen, Lena! Da draußen ist kein großes, schwarzes Tier! Hör auf, dir diesen Scheiß einzubilden!
Rüschen
Eine Woche ist vergangen, sieben Nächte ohne Alpträume und ohne Schlafwandlerei (soweit ich weiß), dazu sieben Tage ohne etwas, von dem ich berichten müsste.
Am Morgen nach meinem Traum überlegte ich, mich bei Dr. Strauss zu melden. Er hatte mich ja ungefähr tausendmal gefragt, ob ich Alpträume habe, Halluzinationen
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