Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
gleichmäßig) die Tür auf. Das einzige, was mir entgegen kommt ist abgestandene Luft … kein schwarzes Tier, kein Erhängter, kein Mädchen mit Verbänden. Vielleicht haben sie sich ja in den Zimmern versteckt.
Ich betrete den Flur, es riecht säuerlich-muffig, Staub und Erbrochenes. Vielleicht riechen Wohnungen so, die jahrelang leer stehen.
Schon auf den ersten Metern erkenne ich, dass diese Wohnung anderes geschnitten ist als unsere, eher ähnelt sie der Wohnung von Frau Diehl. Ein etwa anderthalb Meter breiter Flur, von dem rechts und links Zimmer abgehen, läuft auf eine breite Tür mit Glaseinsatz zu. Dahinter muss das große Wohnzimmer mit dem Balkon sein. Auf einmal ergreift mich eine sachte, ganz geschmeidige Panik, sie zerrt nicht an mir, sie schiebt nur ein bisschen. Ich will raus aus diesem Flur, weg von den geschlossenen Türen und hinein ins Licht. Sechs große Schritte und ich bin bei der Glastür, quietschend geht sie auf, dahinter das helle, große Wohnzimmer.
Okay Lena, bleib ruhig. Keiner Frau ist je etwas zugestoßen! Ich ziehe die Balkontür auf, frische Luft muss herein. Dann stelle ich mich in die Mitte des großen Zimmers und sehe mich um. Die Wohnung wirkt verbraucht … alt und schmuddelig. Es ist nicht so, dass sie stark verdreckt wäre, es klebt kein Schmutz an den Wänden und auf dem Linoleum-Boden, keine dunklen Flecken, keine Schlieren an den Wänden oder gar Beschädigungen. Und trotzdem wirkt die Wohnung schmutzig … auf eine sonderbare, irritierende Art. Wände und Boden sehen aus, als hätte man einen ganzen Kübel Dreck ganz fein auf ihnen verteilt … als hätte man den Schmutz in der Luft zerstäubt, so dass er sich ganz gleichmäßig auf allem niederlassen konnte.
Ich gehe einige Schritte, erkunde den Raum. Es sind keine Möbel mehr da, überhaupt keine Gegenstände. In einer Ecke des Zimmers liegen alte Kabel, keine Ahnung, wozu die mal gut waren. Die Tapeten, die aussehen, als könnten sie sich jeden Moment von den Wänden schälen, haben ein gelbes Rautenmuster auf weißem Grund. Als ich näher herangehe und das Muster betrachte, da merke ich, dass die Tapeten stinken. Von ihnen geht ein muffiger, bitterer Geruch aus. Vielleicht liegt das am alten Kleister, vielleicht sind tierische Inhaltsstoffe im Kleister, die nun vor sich hin verwesen. Ich strecke meinen Arm aus und drücke auf eine der großen Blasen, die sich unter den Tapetenbahnen gebildet haben … es knistert leise … es knistert auch noch, als ich meinen Finger schon wieder zurückgezogen habe.
Auf einmal springt mich die unsinnige Angst an, dass sich diese Tapetenbahn abschälen, auf mich fallen und mich einwickeln wird. Ich ärgere mich über mich selbst, mache aber vier Schritte zurück und bin wieder in der Mitte des Raumes. Was für ein Mist, jetzt habe ich also schon Angst vor Tapeten. Am liebsten würde ich laut lachen, aber ich traue mich nicht. Es ist totenstill in diesem großen, seit Jahren unbewohnten Zimmer, nicht einmal den Fernseher von Frau Diehl hört man … obwohl die alte Dame doch gleich nebenan wohnt.
Okay, jetzt kommt der schwierigste Teil meiner kleinen Wohnungserkundung. Hier im Wohnzimmer ist nichts, nichts Auffälliges, nur Schmutz und Verfall. Also zurück in den Flur und die Türen öffnen, in jedes Zimmer zumindest einen Blick werfen … auch in die ohne Fenster. Ich hätte die Taschenlampe mitnehmen sollen.
Als ich die Tür zu einem Raum öffne, der wahrscheinlich einmal ein Schlafzimmer oder ein Kinderzimmer war, da weiß ich nicht, ob ich flüchten oder laut lachen soll. In dem leeren Raum steht einsam ein alter Schaukelstuhl, ausgerechnet ein Schaukelstuhl. Jeden Moment – ich bin mir da ganz sicher – jeden Moment wird sich das Ding quietschend in Bewegung setzen. Und dann werden ganz langsam die Umrisse des Wesens sichtbar, das in diesem Stuhl sitzt und nur darauf gewartet hat, dass ich mich zu ihm hinein traue. Wie das Kaninchen auf die Schlange starre ich auf das alte, staubige Möbelstück … jeden Moment wird der Stuhl anfangen, zu schaukeln. Jeden Moment muss es losgehen.
Aber nein, es passiert nicht, das wäre zu billig. Moment! War da nicht eine Bewegung? Nein, nichts … diesmal nicht. Ich kratze meinen Mut zusammen, gehe zu dem alten Stuhl, packe ihn an einer der Armlehnen und lege ihn auf die Seite, er ist leichter als er aussieht. Ruhig und friedlich bleibt der von klebrigem Staub bedeckte Stuhl liegen. Nichts anderes ist in diesem Zimmer. Ich werfe
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