Vierter Stock Herbsthaus (German Edition)
einen letzten Blick auf den umgekippten Stuhl und schließe die Tür. Auch die Klinke fühlt sich klebrig an.
Diesem Zimmer gegenüber befindet sich ein etwas kleinerer Raum, auch dieses fast völlig leer. An eine der Wände gelehnt stehen mehrere Sperrholzplatten mit Bohrlöchern, die früher zu einer Einbauküche gehörten … sehen ziemlich versifft aus. Ich gehe einmal durch den Raum, einmal an jeder Wand entlang. Auch hier wirken die Tapeten, als würden sie gleich von den Wänden fallen. Aus welchem Jahrzehnt stammen die? Womöglich sind die älter als ich und Paula zusammen, vielleicht sind die schon was wert, vielleicht könnte man die vorsichtig abziehen, aufrollen und bei eBay verkaufen. Wenn sie nur nicht so nach Verwesung stinken würden.
Jetzt sind nur noch zwei Räume übrig, die beiden Räume, die nahe zur Mitte des Hauses liegen, beide fensterlos. Meine Hand liegt schon auf einer der Türklinken (vom Wohnzimmer aus gesehen die linke), als mich mein Mut verlässt. Ich höre mein Herz klopfen, nehme die Hand vom Metall und trete einen Schritt zurück. Okay, alles der Reihe nach. Erst die Wohnungstür etwas weiter auf … einfach damit ich flüchten kann, sollte dort etwas in der Dunkelheit sein … einfach damit ich in meiner Panik nicht gegen die Tür renne. Und dann … ja, was dann? Nichts weiter, ich werde es doch wohl fertigbringen, diese blöde Tür aufzumachen. Nie ist einer Frau etwas passiert … nie einer Frau … nie einer Frau!
Tief durchatmen, Hand auf die Klinke und … hinunterdrücken. Ein schmaler, nur etwa zwei Quadratmeter großer Abstellraum gähnt mich an. Leere Holzregale an den Wänden, sonst nichts. Nichts steht mir gegenüber, niemand schaut mich an. Ich mache einen Schritt hinein in den Raum, halte aber mit einer Hand die Tür offen. Wenn ich jetzt in diese Abstellkammer gehe, wenn dann hinter mir plötzlich die Tür zuschlägt und ich im Dunkel stehe, dann bin ich im Arsch, dann verliere ich die Nerven und schrei' hier rum. Und wenn etwas mit mir in dieser Kammer ist, ein großes, dunkles Etwas, dann … Oh Gott, meine Phantasie läuft Amok, nichts wie raus hier!
Okay Lena, jetzt noch eine Tür, eine letzte Tür und dann habe ich es geschafft, dann habe ich mir jeden gottverdammten Raum in dieser stinkenden Wohnung angesehen. Hier muss das Badezimmer sein …
… und ja, da ist es, weiße Kacheln und schwarze Fugen. Alles ist noch da: Die Badewanne, zwei runde Waschbecken, Kloschüssel, ein Erste Hilfe-Schrank, sogar der Duschvorhang, die Klobürste und eines dieser roten Gummidinger, mit dem man verstopfte Abflüsse frei bekommt. Das Bad sieht aus, als könne man es sofort benutzen, nur die Handtücher und das Klopapier fehlen.
Ich drücke auf den Lichtschalter und tatsächlich tut sich etwas. Die beiden Lampen über dem großen Badezimmerspiegel gehen an … und gleich wieder aus. Ich höre ein Zischen und eine Sekunde später riecht es verbrannt. Oh Scheiße! Nicht dass hier irgendwelche Leitungen durchschmoren, nicht dass ich das verdammte Haus abfackle. Entschuldigen Sie, Frau Diehl, würden Sie bitte mit raus kommen, das Haus brennt. Sie können keine Treppen steigen? Na gut, dann klettern Sie mir mal auf den Rücken. Festhalten bitte!
Schnell drücke ich noch einmal den Lichtschalter, bringe ihn wieder in Licht-aus-Position. Dann warte ich eine Minute, bis ich keinen Brandgeruch mehr wahrnehme. Okay, war wohl nichts Größeres. Ich drücke die Badezimmertür zu und verlasse die Wohnung.
Als ich abschließe, da kommt mir die Idee, doch noch einmal hineinzugehen und einen Blick in das Zimmer mit dem einsamen Schaukelstuhl zu werfen. Ob das Ding noch brav auf der Seite liegt?
Nach kurzem Überlegen lasse ich es bleiben, das reicht für heute. Außerdem muss ich noch einen Anruf machen. Als ich wieder zurück in unserer Wohnung bin, da muss ich mir eingestehen, dass ich gerade richtig beschissen Angst hatte … trotz Tageslicht.
***
Das Freizeichen. Einmal, zweimal, dreimal … ich warte immer bis fünf, erst dann lege ich auf … viermal, fünfmal, sec- Strauss nimmt ab, Ton Nummer sechs hat es nur halb bis zu mir geschafft.
„Ja, hier Strauss.”
Eine Frau ist daran. Seine Frau?
„Hallo Frau Strauss, hier Lena Pander. Ist Ihr Mann gerade da?”
Die Frau am anderen Ende der Leitung muss lachen.
„Sie meinen bestimmt meinen Vater.”
„Ja ähm … Ihren Vater. Entschuldigen Sie.”
„Kein Grund, sich zu entschuldigen. Warten Sie einen Moment,
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