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Villa des Schweigens

Villa des Schweigens

Titel: Villa des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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Fassade?
    Etwas Rotbraunes kam zum Vorschein. Ich fuhr zurück. Das war widerlich, total widerlich. Der Kopf eines Jungen, aus dessen herausgeschnittenen Augenhöhlen lauter Ratten herausquollen. Sollte das rote Geschmiere Blut sein? War das etwa Blut? Ich ließ das Blatt schnell fallen. Und was war das? Da war ein Foto von Benjamin, wie er auf einer Bank saß und glücklich in die Sonne blinzelte, den Arm um jemanden gelegt, der neben ihm saß. Aber die Person war völlig schwarz übermalt worden, nur noch eine schmale Hand war zu sehen, die auf Benjamins Knie lag.
    Hate war rot über das Bild gekrakelt. Ich fröstelte unwillkürlich. Zu was war dieser Typ eigentlich fähig? Mit wem wohnte ich hier unter einem Dach? Es knackte plötzlich. Ich fuhr herum.
    Durch die kaputte Milchglasscheibe starrte ein Gesicht zu mir herein.

11. Kapitel
    Es war Claire. Sie lächelte mich an. »Suchst du was?«, fragte sie freundlich. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Schließlich war die Situation eindeutig, sie hatte mich doch beobachtet.
    »Ich ...«, begann ich mit kleinlauter Stimme. »Hab nur mal geguckt«, murmelte ich.
    Claire lächelte immer noch und sagte nichts. Ich kam mir vor wie ein kleines Kind, das beim Naschen ertappt worden ist. Die Nachmittagshitze quoll jetzt durch alle Ritzen im Dachboden.
    »Ich geh dann mal wieder runter«, sagte ich lahm.
    »Gute Idee. Hier oben ist es nicht ungefährlich.« Claire folgte mir, geschmeidig wie eine Katze. Warum hatte ich sie eigentlich nicht gehört?
    Ich ging in die Küche, um mir meine Cola zu holen. Aber sie war nicht mehr da. Wütend knallte ich die Kühlschranktür zu.
    »Meine Cola ist weg«, sagte ich.
    »Hab' dir doch gesagt, dass du deinen Namen draufschreiben sollst.« Claire zuckte nur mit den Schultern.
    Ja, das hatte sie. Aber ich hatte geglaubt, das sei eine Übertreibung.
    »Ich habe noch Wasser, wenn du was Kaltes willst.« Sie holte eine Flasche aus dem Kühlschrank.
    »Danke.« Gierig nahm ich einen Schluck.
    In diesem Moment rasselte ein Schlüssel an der Haustür. Noch bevor sie im Haus war, wusste ich, dass es sich um Lauren handelte. Ihr Parfüm kroch wie ein unsichtbarer Nebel vor ihr her.
    »Lauren!«, rief Claire. »Wir sind in der Küche!«
    Lauren kam hereingeschlendert, die hellblau lackierten Fußnägel in Flip-Flops, die langen Beine in karierten Shorts.
    »Stefan will heute einem Kumpel helfen«, sagte sie dann betrübt. »Aber zu Hause halte ich es nicht aus. Meine Mutter geht mir so was von auf die Nerven.«
    »Willkommen im Club der Genervten«, murmelte Claire. Ich zuckte zusammen. Meinte sie etwa mich damit?
    Lauren wollte etwas aus ihrer Tasche nehmen und in den Kühlschrank stellen, aber Claire kam ihr zuvor.
    »Was hast du denn da Feines?«
    »Wein für später. Wenn Stefan zurückkommt.«
    »Quatsch, den trinken wir jetzt!«, meinte Claire.
    »Ich weiß nicht.« Lauren guckte ein bisschen betreten.
    »Natürlich. Ich kaufe dir nachher eine neue Flasche an der Tankstelle. Hey, Girl's Night! Was sagt ihr dazu?«
    Was ich dazu sagte? So hatte ich Claire noch garnicht erlebt. Es war zwar noch ein bisschen früh am Nachmittag, aber ich fand, das war das Vernünftigste, was sie seit meinem Einzug gesagt hatte. Und offenbar waren es auch nicht wir, die ihr auf die Nerven gingen.
    »Ich weiß nicht«, jammerte Lauren erneut. »Ich wollte eigentlich nur auf Stefan warten.«
    »Das kannst du doch auch mit uns. Wer weiß, wann der kommt.« Ich stupste sie an. Endlich tat sich hier mal was.
    »Genau. Los, wir gehen in mein Zimmer«, sagte Claire. »Da müssen wir nicht jede Sekunde mit Julius rechnen. Und in dieser trostlosen Küche kriegt man ja Depressionen.«
    »Oder Selbstmordgedanken.« Jetzt lachte Lauren endlich.
    Ich kicherte. »Todesursache: geschmacklose Tapete!«
    Ich lief schnell zu meinem Zimmer, zog mir noch halb in der Tür das Shirt über den Kopf und ratschte den Reißverschluss meiner Jeans auf. Schmiss die Klamotten auf den Boden. Sah kurz in den Spiegel, dann zu meinem ungemachten Bett. Zu meinen Sandalen, die verdreht davor lagen – genau so, wie ich sie gestern Nacht von den Füßen gekickt hatte. Bis auf etwas Weißes. Eine Socke?
    Nur, dass ich gestern keine Socken angehabt hatte. Und dass ich definitiv nie in meinem Leben weiße Socken in Sandalen anziehen würde.
    Schlagartig blieb ich stehen. Was war das? Hatte das heute Mittag schon dort gelegen? War ich nur zu tranig gewesen, es wahrzunehmen? Ich griff mit spitzen

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