Villa des Schweigens
Schwung vollendete sie ihre Lippen und spitzte sie zum Kussmund.
»Tolle Farbe«, bemerkte Lauren. Es klopfte.
»Ja?«, sagte Claire.
Lauren jauchzte, noch bevor ich etwas sehen konnte. Es war Stefan in seiner Pflegeruniform.
»Na, was macht ihr verrückten Hühner schon wieder?«
»Stefan! Wir gehen ins Irish Pub «, krähte Lauren.
»Klasse Idee. Ich zieh mich nur schnell um.« Er gab ihr einen Klaps auf den Hintern und zwinkerte mir zu.
Ich schloss ergeben die Augen. Adieu, Girl's Night.Vor dem Irish Pub saßen bereits Massen von Leuten im Biergarten, sodass wir gezwungen waren, uns drinnen einen Platz zu suchen. Außer Stefan hatte sich uns noch Julius angeschlossen. Offenbar hatte ihm die Gammelpizza nicht geschadet. Ganz im Gegenteil, er schien bester Laune zu sein. Er wollte unbedingt am nächsten Tag eine Party machen. Pausenlos telefonierte er, um Leute einzuladen. Ich fragte mich, ob er seine Apfelgriebssammlung vorher verstecken würde. Benjamin war nicht mitgekommen. Angeblich hatte er keine Lust. Vielleicht wollte er auch nur weitere blutige Collagen basteln?
Überall im Pub hingen Bierposter, Musikinstrumente und keltischer Schnickschnack herum. Wahrscheinlich um auch dem Dümmsten zu signalisieren, dass er nicht in einer russischen Teestube gelandet war. Die Luft war zum Schneiden dick, immer mehr Leute quollen herein. Claire begrüßte ein Mädchen im langen Fransenkleid, das seine Violine auspackte. Ein Typ mit Hut spielte probeweise eine kurze Melodie auf einer kleinen Flöte und plötzlich ging es los.
Ich ließ mich eine Weile lang von der Musik mitreißen und fühlte mich fast entspannt an diesem schönen Sommerabend. Hey, wir verbrachten alle miteinander einen Abend im Pub, morgen sollte sogar eine Party stattfinden. Vielleicht wurde es ja doch noch was mit dieser WG?
»Nun lass mich doch mal in Ruhe mit deinen dummen Fragen!« Stefans Stimme riss mich aus meinenGedanken. Er stand gerade genervt auf. Lauren saß da wie ein geprügelter Hund und guckte ihm traurig hinterher. Was war denn nun schon wieder? Claire grinste. Irgendwie hatte sie genau wie Julius ein gewisses Vergnügen am Leid anderer Leute. Und sofort musste ich wieder an die seltsamen Dinge in meinem Zimmer denken. Ich versuchte mich abzulenken und ging zur Bar. Dort ging es nur schleppend vorwärts. Der Barmann trug trotz der Hitze eine grüne Wollmütze und schlenkerte die Gläser im Takt der immer wilder werdenden Musik. Ich musste meine Bestellung dreimal in seine Richtung brüllen, ehe er mich verstand. Als ich endlich die herrlich eiskalt beschlagenen Gläser in den Händen hielt und wieder unseren Tisch ansteuerte, sah ich nur Lauren, die mit langem Gesicht dasaß.
»Wo sind die denn alle?«, fragte ich und stellte die Drinks ab.
»Claire ist verschwunden. Stefan holt Zigaretten und Julius spielt James Bond.« Sie nickte in Richtung Bar und tatsächlich – da stand Julius, einen Drink in der Hand, in dem eine Olive schwamm. Vor ihm stand ein Mädchen und lachte so sehr, dass ihr Drink überschwappte.
»Oh«, sagte ich verblüfft. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, welche Bemerkung von Julius solche Lachkrämpfe verursachen könnte.
Claire war tatsächlich nirgends zu sehen. Da fielmir etwas ein. Ich setzte mich neben Lauren. »Sag mal«, begann ich. »Hast du eigentlich diese Jette gut gekannt, die in meinem Zimmer gewohnt hat?«
Lauren blinzelte erschrocken. »Na ja«, murmelte sie. »Nicht so richtig.«
»War die irgendwie ein bisschen verrückt? Mit Ritzen und so? Ich hab da solches Zeug gefunden.«
»Weiß nicht. Die ist in Schottland«, kam es sofort zurück.
»Wirklich? Sie hatte noch Termine im August.«
»Sie ist in Schottland«, wiederholte Lauren, nun mit einem Schuss Verzweiflung in der Stimme.
»Lauren, das kannst du mir doch nicht weismachen. Warum erzählt mir keiner, was los ist? Dass ein Mädchen lauter blutverschmierte Sachen hat, ist ja wohl nicht normal! Das ist ... das ist ...« Ich stockte. Unheimlich , flüsterte eine kleine Stimme in meinem Kopf.
Lauren murmelte etwas.
»Was?«
»Da muss ich erst mit Stefan reden! Ich weiß nicht, ob ich das erzählen darf!«
Mir verschlug es glatt die Sprache.
»Du musst Stefan fragen , ob du mir das erzählen darfst?«
»Ja«, sagte sie trotzig.
Mann, Mann, Mann. Wie konnte man sich nur von einem Jungen so abhängig machen? Doch da fiel mir siedend heiß ein, wie ich abends im Dunkelnmit dem Fernrohr an meinem Fenster
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