Villa des Schweigens
Fingern danach. Und hob einen zusammengefalteten Zettel hoch. Ich öffnete ihn. Mitten auf dem ansonsten leeren Blatt standen drei gedruckte Zeilen:
Mein Arm streift deinen
Lautlos lass ich dich ahnen
Was du längst schon weißt
Ich starrte auf die Schrift, bis meine Augen brannten. Dann packte mich die Wut. Wer schlich hier dauernd in mein Zimmer? Was sollte diese Geheimniskrämerei? Und wieso konnte ich mein Zimmer eigentlich nicht abschließen? Streifende Arme und lautlose Ahnungen? War das ein Liebesgedicht? War es überhaupt ein Gedicht?
»Nina!«, hörte ich eine Stimme rufen. Claire. Eine Tür klappte. Hastig knüllte ich den Zettel zusammen und schmiss ihn auf meinen Schreibtisch. Dann schickte ich Nadja eine SMS. Ruf mich an! Dringend! Ich zog mir Caprihosen und ein Top an und band mir mit einem Tuch die Haare zurück. Ich würde mich jetzt zu meiner Girl's Night begeben und nicht mehr darüber nachdenken, wer mir hier wirre Liebesgedichte ans Bett legte. Wenn es denn eins war. Oder, und bei diesem Gedanken stockte mir kurzder Atem, hatte der Zettel etwas ganz anderes zu bedeuten? Ich dachte an die blutrote Blume, die Schokolade, die ich immer noch nicht angerührt hatte. An die grusligen Collagen oben auf dem Boden.
Lautlos lass ich dich ahnen, was du längst schon weißt ...
Ich sah zu dem Papierknäuel hinüber, das sich wie mir zum Hohn wieder leicht entfaltete. Der Text konnte genauso gut eine Drohung sein.
12. Kapitel
Claire und Lauren johlten vor Lachen, als ich dazukam. Sie hatten die Flasche schon geöffnet und tranken aus vornehmen bauchigen Gläsern, von denen ich sicher war, dass sie Claire gehörten. Lauren hielt ein Foto in der Hand, wahrscheinlich der Quell ihrer Belustigung. Undeutlich konnte ich Stefan ausmachen – mit mädchenhaft langen Haaren.
Sollte ich einfach den Zettel holen, damit wir uns zu dritt darüber lustig machen konnten? Unschlüssig blieb ich stehen.
»Wusstest du, dass Stefan mal so aussah?«, kreischte Lauren.
»Nein.« Woher auch?
»Oh Mann, ich schmeiß mich weg. Diese Löckchen!« Lauren konnte sich gar nicht mehr beruhigen. »Fehlt nur noch ein Haarreifen!« Sie griff nach dem Foto. »Das musst du mir geben, Claire.«
»Nein, nein, das brauche ich noch«, sagte Claire schnell. »Für mein Album. Da musst du schon Stefan selbst nach einem fragen.«
Ich fand es ein bisschen seltsam, dass Lauren nichts von Stefans ehemaligem Hippie-Look wusste.Aber es ging mich nichts an. Und es war kein guter Zeitpunkt, von dem Gedicht anzufangen.
»Süßes Top.« Claire nickte mir zu und reichte mir ein Glas.
»Danke. Ist neu.« Und ich habe mein halbes Vermögen dafür ausgegeben, setzte ich in Gedanken hinzu. Eins meiner teuersten Kleidungsstücke überhaupt, extra für meinen Großstadtaufenthalt angeschafft.
»Ich weiß, wo wir nachher hingehen können.« Claire stellte ihr Glas ab und kramte in ihrer Kosmetiktasche.
»Wohin denn? Ich dachte, wir bleiben hier?« Ich nippte nur leicht. Der Wein war lauwarm und hätte doch gekühlt werden sollen. Ich setzte das Glas vorsichtig auf dem Boden ab. Bloß nicht wieder was verkippen. Bei den Dingen, die ihr wertvoll und wichtig waren, konnte Claire echt eklig werden. Sie saß mit einer Wimpernspirale in der Hand vor ihrem großen Spiegel, in dem ich uns alle betrachten konnte. Wir sahen aus wie die gängige Version von drei total unterschiedlichen superbesten Freundinnen: die kurzhaarige, leicht punkige Claire mit schrägen Katzenaugen; die engelslockige blonde Lauren mit ihrem ewig erstaunten Blick, die wie ein kleines Kunstwerk bemalt und geschmückt war, und schließlich ich selbst: mit meinen kastanienbraunen schweren Haaren, die ich bei dieser Hitze fast nur hochgesteckt ertragen konnte, meiner blassen, aber makellosenHaut, um die mich Nadja ebenfalls beneidete, und meinen winzigen Sommersprossen, die Oliver vor einem halben Jahrhundert niedlich gefunden hatte. Aber beste Freundinnen waren wir nicht.
Doch vielleicht konnte es ja noch was werden? Claire hatte den Mund jetzt leicht geöffnet.
»Warum muss man eigentlich immer den Mund aufmachen, wenn man sich die Wimpern anmalt?«, platzte Lauren unvermittelt heraus. Diesmal stimmte ich in das wiehernde Gelächter mit ein.
Als wir uns endlich beruhigt hatten, zückte Claire ihren Lippenstift und sagte: »Ins Irish Pub . Da spielt heute eine Bekannte von mir mit ihrer Band. Irische Folkmusik, ihr wisst schon.« Sie deutete eine fiedelnde Geige an. Mit kühnem
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