Villa des Schweigens
gesessen hatte, um eifersüchtig Mias Hauseingang weiter vorn in der Straße zu beobachten. Nicht gerade etwas, worauf ich stolz war.
»Na, dann frag mal. Ich muss mal kurz, sorry«, entschuldigte ich mich halbherzig und ging aufs Klo, vorbei an bunt beklebten Wänden und begeistert klatschenden Leuten. Es herrschte ein Gedränge wie auf der japanischen Börse. Im Toilettenvorraum hingegen war es angenehm still. Ich betrachtete mich kurz im Spiegel. Zupfte mein Tuch zurecht. Stimmen kamen näher und ich huschte schnell in eine der Toiletten.
»... dich hier zu treffen«, hörte ich jemanden sagen. »Dachte, du bist schon längst auf und davon. Ich kann gar nicht glauben, dass du immer noch da wohnst.«
»So ein Zimmer bekomme ich nirgendwo sonst«, antwortete ein Mädchen. Claire!
»Trotzdem. Der Typ ist doch wie eine tickende Zeitbombe. Da weißt du nie, wann der wieder hochgeht.«
»Er hat eine Therapie gemacht und sie haben ihn entlassen. Da muss er doch kuriert sein.«
Ich stand reglos da, die Hände in die Hosenbeine gekrallt, die Luft angehalten. Von wem redeten die beiden?
»Wer's glaubt, wird selig«, entgegnete das fremde Mädchen. »Einmal ein Junkie, immer ein Junkie. Oderwillst du enden wie der alte Mann, den er umgebracht hat?«
»Der ist doch nicht gestorben. Und Tablettensucht ist nicht wie Drogensucht.« Das war wieder Claire. Tablettensucht? Umgebracht?
»Na ja, geht mich auch nichts an. Solange du bei deinem Julius glücklich bist ...«
»Er ist nicht mein Julius!« Claires Stimme klang plötzlich scharf.
»So hab ich es auch gar nicht gemeint. Ist ja schön, wenn du hier was gefunden hast.«
Papier raschelte, jemand zog die Spülung. Ich bewegte mich nicht. Claire sollte auf keinen Fall erfahren, dass ich hier lauschte.
»Wie ist Weimar?«, hörte ich sie fragen.
»Super! Natürlich wahnsinnig anstrengend, aber das habe ich auch nicht anders erwartet. Ist schon eine Art Eliteschule.«
»Hmm«, machte Claire. In diesem Moment spürte ich, dass die beiden sich nicht leiden konnten. War in Weimar nicht die Hochschule, die Claire abgelehnt hatte?
Das Rauschen des Wasserhahns hörte auf.
»Na dann, man sieht sich.« Mit einem Türquietschen verschwand die unsichtbare Gesprächspartnerin. Von Claire war kein Laut zu hören. Ich wagte nicht zu atmen, meine Lunge war kurz vorm Platzen. Endlich ein schlurfender Schritt. Dann Claires Stimme, vor Wut ganz gepresst: »Blöde Kuh!«
Nach schier endloser Zeit ging sie auch. Ich verließ fluchtartig die Toilette und spritzte mir am Waschbecken kaltes Wasser ins Gesicht. Julius hatte was gemacht? Eine Therapie wegen Tablettensucht? Ich hatte gar keine richtige Vorstellung davon, was das war. Ich ekelte mich schon, wenn ich ein auflösbares Aspirin trinken musste. Und was hatte das Mädchen noch gesagt? Willst du enden wie der alte Mann, den er umgebracht hat?
Völlig kopflos taumelte ich nach draußen. Hinter meinen Schläfen pochte es unangenehm. Eine Hand legte sich so plötzlich von hinten auf meine Schulter, dass ich zusammenzuckte. Hatte Claire mich doch gesehen?
Langsam drehte ich mich um.
13. Kapitel
Vor mir stand ein Junge. Lars aus der Kanzlei.
»Was machst du denn hier?«, fragte ich ihn verblüfft und ärgerte mich sogleich über meine bescheuerte Frage.
»Na, Bier trinken!« Er lachte. »Machst du was anderes?«
Ich grinste zurück. Erleichtert. Er hatte ja keine Ahnung, wie froh ich war, ihn zu sehen. »Wie geht's deiner Oma?« In diesem Moment klingelte mein Handy. Nadja rief zurück. Was für ein ungünstiger Zeitpunkt.
»Ich ruf dich später an«, sagte ich schnell, noch bevor sie was fragen konnte.
»Okay.« Sie klang leicht vergnatzt. »Dachte, es war dringend. Jetzt hab ich gerade mal Zeit.«
»Sorry! Ich versprech's dir!« Ich legte auf.
Lars sah mir interessiert zu. »Meiner Oma geht's ganz gut. Sie hofft natürlich, dass sie den Prozess gewinnt. Sie ist 'ne Kämpfernatur.« Er hob sein leeres Glas hoch. »Willst du noch was zu trinken?«
»Nein danke, ich hab schon was, an unserem Tisch da hinten.« Ich deutete zu unserem Ecktisch. »Was ist denn eigentlich mit deiner Oma passiert?«
Er erzählte mir kurz von dem Streit mit einem Motorradfahrer, in den seine Oma verwickelt war, dann kamen wir auf alle möglichen Sachen zu sprechen. Er war Student und würde bald wegfahren und in einem Ferienlager als Rettungsschwimmer arbeiten. Das gab mir einen kleinen Stich.
»Ich hol mal mein Glas«, murmelte ich und
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