Villa des Schweigens
arbeitete mich zu unserem Tisch vor.
»Dein Freund?«, fragte Stefan sofort.
»Nein, nur ein Bekannter.«
»Ach, wirklich?« Stefan grinste anzüglich. Was ging ihn das eigentlich an?
»Lass sie doch. Nina kann doch reden, mit wem sie will«, mischte Claire sich ein. Ich zwang mich zu einem sorglosen Gesichtsausdruck, obwohl ich bei ihrem Anblick sofort wieder an das Gespräch in der Toilette denken musste. Willst du enden wie der alte Mann, den er umgebracht hat?
»Wir sind nur Freunde«, sagte ich leichthin, dabei waren wir ja noch nicht mal das. Leider.
»Er kann sich doch mit hersetzen«, meinte Claire.
»Hier ist aber kein Platz mehr«, sagte Stefan wie ein aufgeplusterter Gockel.
»Natürlich ist hier Platz«, antwortete Claire gereizt. »Julius ist sowieso verschwunden.«
»Und ich kann auf deinem Schoß sitzen«, bot Lauren an.
Stefan antwortete nicht und ich holte Lars an unseren Tisch. Nun erst recht.Auf dem Nachhauseweg machte Claire in einem fort die Band nieder, während wir im Dunkeln durch die Straßen liefen. Mehrmals setzte ich an, um sie nach Julius zu fragen, jedes Mal ließ ich es wieder bleiben. Denn ich hätte unweigerlich zugeben müssen, dass ich mich wie eine Spionin im Klo versteckt und sie belauscht hatte. Julius wankte ein ganzes Stück hinter uns durch die laue Sommernacht, vorbei an gusseisernen Gartenzäunen und alten Bäumen. Er war schon ziemlich blau. Im Pub hatte er Lars kumpelhaft die Hand auf den Rücken gehauen und ihn ebenfalls zur »Jahrhundertparty« eingeladen. Nun hatte ich zwar absolut nichts dagegen, aber ich hätte Lars gern selbst gefragt. Oder hätte ich mich das gar nicht getraut? Auf jeden Fall wollte er morgen kommen und das machte mich froh, weil ich das Gefühl hatte, dass mir jeder Beistand auf der Party guttun würde.
Als wir nur noch wenige Meter von unserer Villa entfernt waren, gab es auf einmal einen dumpfen Knall. Stefan und Lauren, die vor uns liefen, zuckten zusammen.
»Ach du Scheiße«, sagte Claire.
»Was zum Teufel ...«
»Da!«, unterbrach Claire Stefan. Sie zeigte auf etwas. Erschrocken presste sie eine Hand auf ihren Mund.
»Was denn?« Ich konnte nichts erkennen. Wollte ich überhaupt wissen, was da war? Mein Bauchgefühl sagte mir nichts Gutes.
»Ach, der arme Kleine!«, rief plötzlich Lauren. Der arme Kleine?
Dann sah ich es. Und wusste nicht, ob ich laut lachen oder aufschreien sollte.
Der augenlose Engel über der Haustür war heruntergebrochen und lag nun als Trümmerhaufen vor dem sparsam beleuchteten Hauseingang. Man konnte nur noch ein fettes kleines Bein erkennen, das grotesk in die Höhe ragte.
»Wie ist das denn passiert?«, fragte Claire. Die Tür ging auf. Benjamins Kopf schob sich vorsichtig hinaus. Er sah erst zu uns, dann nach unten und dann nach oben.
»Wart ihr das?«, fragte er verblüfft.
»Natürlich nicht! Bist du verrückt? Wir sind gerade gekommen. Der hätte uns erschlagen können!« Claire hatte sich wieder gefangen und trat zornig in den Steinhaufen hinein. Sie hatte recht. Eine Minute eher zu Hause und das schreckliche Ding wäre einem von uns auf den Kopf gefallen.
Lauren hatte sich hingekniet und stocherte vorsichtig in den Steinen, als ob sie bei einer archäologischen Ausgrabung half.
»Was machst du denn?«, herrschte Claire sie an.
»Ich ...« Lauren stand verwirrt wieder auf und suchte Trost in Stefans Armen. Diesmal ließ er sie. Julius betrachtete erstaunt den Steinhaufen.
»Ist doch nichts passiert«, bemerkte Stefan.
»Hätte aber!«, schnappte Claire.
»War der Engel vielleicht schon angebrochen oder ...«, setzte ich an, da fiel Julius mir ins Wort.
»Jetzt fang du nicht auch noch an! Bin ich Bob der Baumeister, oder was? Was kann ich dafür, wenn das blöde Teil runterfliegt?« Er verlor die Balance und hielt sich an mir fest. Plötzlich fing er an zu kichern. »Ich konnte den hässlichen Knaben sowieso noch nie leiden.« Ein gurgelndes Geräusch kam aus seiner Kehle, als habe er sich verschluckt, und daraufhin lachte er noch mehr. Stefan fiel mit etwas Verspätung ein, selbst Claire schien sich zu entspannen.
Benjamin hatte unterdessen eine Taschenlampe geholt. Er ging ein Stück zurück, richtete den Lichtkegel nach oben und reckte den Kopf nach hinten, um zu der Bruchstelle hochzusehen. »Das sieht nicht aus wie abgebröckelt«, sagte er.
»Wie meinst du das?«, fragte ich.
»Wenn es abgebröckelt wäre, würde man doch einen Haufen Schutt sehen. Da oben ist aber eine
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