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Villa des Schweigens

Villa des Schweigens

Titel: Villa des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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glatte Schnittstelle. Wie ... wie ...« Er suchte nach Worten. »Wie abgehackt.«
    Julius lachte laut und scheppernd auf. »Du meinst, da ist einer mit der Spitzhacke hochgeklettert und hat den guten Kerl abgehackt? Come on!«
    »Ich meine ja nur«, sagte Benjamin, sichtlich verlegen. Die anderen kicherten, außer Lauren, die bereits ins Haus gerannt war. Wortlos schob ich mich an allen vorbei und floh in mein Zimmer.
    Ich schmiss mich auf mein Bett, nachdem ich michkurz vergewissert hatte, dass dort nichts lag. Und hasste mich sogleich dafür, dass ich mich so verrückt machte. Aber ich konnte nicht anders – ich fühlte mich hier so unwohl wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich starrte hoch zu der mickrigen Lampe, um die ein verwirrter Falter in Todesangst flatterte. Was passierte in diesem Haus? Was war in diesem Zimmer passiert? Jette und ihre Angst ... Ihr Blut ... Und dieses ewige Schweigen der anderen. Ich sprang wieder auf und riss die Terrassentüren auf. Er war noch da. Der Steinteufel war noch da. Geradezu unerschütterlich hockte er über meiner Tür und grinste diabolisch in den Garten hinaus. Was hatte ich denn erwartet? Dass beide Steinfiguren zeitgleich herunterfallen würden? Es war doch nur altersschwaches Gestein, kein Grund zum Gruseln! Oder hatte Benjamin recht? Hatte jemand an dem Engel herumgefeilt? Das war doch total absurd.
    Mein Handy klingelte. Meine Mutter, die gerne gegen 22 Uhr ihren Kontrollanruf machte.
    »Hallo, Mam«, sagte ich und versuchte, wieder ruhig zu atmen.
    »Was ist denn mit dir?«, fragte sie argwöhnisch. Sie besaß eine Art siebten Sinn, ein Radargespür. »Bist du erkältet? Du klingst so heiser. Ist irgendwas?«
    Einen Moment lang wäre ich fast der Versuchung erlegen. Ein Wort von mir und meine besorgten Eltern hätten innerhalb von zwei Stunden vor der Tür gestanden, um mich höchstpersönlich aus diesembaufälligen und geradezu kriminellen Milieu abzuholen. Womit ich allen Beteiligten den Beweis erbracht hätte, dass ich eben doch noch nicht auf eigenen Füßen stehen konnte. Ich holte tief Luft. Das konnte ich auf keinen Fall zulassen.
    »Nichts ist.« Ich konnte die anderen draußen streiten hören.
    »Was ist denn das für ein Krach? Macht ihr eine Party? Weiß das euer Vermieter?«
    »Unser Vermieter?« Beinahe hätte ich gelacht. Dann riss ich mich zusammen. »Wir feiern nur ein bisschen. Der Vermieter ist auch dabei.« Das war nicht mal völlig gelogen, wenn auch einen Tag zu früh. »Eben ist ihm was zu Bruch gegangen. So ein kleiner Porzellanengel.« Das Lügen ging ganz leicht, wenn man erst mal in Schwung kam.
    »Hoffentlich nichts Wertvolles?« Meine Mutter klang schon etwas beruhigter.
    »Nein, nur Kitsch.« Auch nicht gelogen.
    »Ach, übrigens«, sagte sie plötzlich etwas zusammenhanglos. »Warum ich eigentlich anrufe: Papa und ich haben uns jetzt endlich entschieden und wollen morgen ins Elsass fahren. Dein Vater wollte ja wieder nach Bayern, aber ich hab ihn überredet. Ich habe schon den ganzen Abend lang versucht, dich zu erreichen. Dein Bruder ist ja im Sommerlager und du in Leipzig und da dachten wir, wir nutzen die Gunst der Stunde. War ein super Angebot.«
    »Toll«, sagte ich. Jetzt war ich doppelt froh, ihrnichts erzählt zu haben. Unter Umständen hätten sie meinetwegen noch ihren Urlaub sausen lassen. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, wie meine Mutter mir das Hotel aus dem Prospekt beschrieb und aufzählte, welche Sehenswürdigkeiten sie sich anschauen wollten. Der Lärm hatte aufgehört und einer beängstigenden Stille Platz gemacht. Hatten die anderen den Steinhaufen weggeräumt? Würde noch mehr in diesem Haus einstürzen?
    »... melden wir uns noch mal, wenn wir angekommen sind, nicht wahr?« Nach einer halben Ewigkeit war sie endlich fertig.
    »Alles klar. Tschüss dann!« Ich klappte mein Handy zu. Vorsichtig schlich ich hinaus. Aus der Küche erklang ein seltsamer Ton, eine Art hohes Fiepen, wie bei einem kleinen Tier. Dann hörte ich es deutlicher. Weinte da jemand?
    Verlegen näherte ich mich dem Geräusch. Was ich tun wollte, wusste ich selbst nicht so genau. Vorsichtig lugte ich durch einen Spalt in der Tür in die nächtliche Küche hinein. Und fuhr erschrocken zurück.
    Die Szene vor mir war unmissverständlich. Lauren saß schluchzend auf Benjamins Schoss, ihre Arme um seinen Hals geschmiegt, lediglich mit einem Maxi-T-Shirt bekleidet. Ihre Haare feucht unter einem Handtuchturban, seine Hand auf ihrem nackten

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