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Villa des Schweigens

Villa des Schweigens

Titel: Villa des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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ungeduldig. »In einen blonden Typen, der aussah wie Leonardo di Caprio, nur jünger und dünner.«
    »Oh«, machte ich. Meine Theorie sackte zusammen wie ein Kartenhaus. Benjamin war schwul?
    »Aber ...«, krächzte ich.
    »Jetzt mach dich nicht so fertig. Davon wird sie auch nicht wieder lebendig. Aber ich weiß, was ich gesehen habe. Der Typ steht nicht auf Mädchen, glaub's mir. Vielleicht wollte sie das ja nicht wahrhaben. Wer weiß, vielleicht war sie depressiv.«
    Ich erwiderte nichts. Musste erst mal die Nachricht verdauen.
    »Ich fahre in einer Stunde.« Lars riss mich aus meinen Gedanken. Und plötzlich konnte ich nicht anders.
    »Kannst du nicht hierbleiben?«, presste ich heraus.
    Er schwieg einen Moment lang. »Leider nicht«, sagte er dann leise. »Aber ich komme in zwei Wochen wieder. Dann bist du doch noch da, oder?«
    »Ja.« Meine Stimme klang seltsam belegt.
    »Halt die Ohren steif, Nina. Und ruf mich an, wenn du reden willst. Und wenn ich wiederkomme, machen wir was Schönes zusammen, okay? Ich verspreche es dir.«
    »Okay«, flüsterte ich.
    Er legte zuerst auf. Ich fröstelte plötzlich. Mein Blick huschte zum Fenster. Die Sonne war verschwunden. Dunkle Wolken zogen am Himmel auf, bauschten sich zu einer brodelnden Masse. Gleich würde ein Gewitter losbrechen.

18. Kapitel
    Es hatte mit dem Gewitter doch noch bis zum übernächsten Morgen gedauert. Den gestrigen Tag hatte ich fast nur schlafend verbracht. Als ob mein Körper mich mit Gewalt zur Ruhe zwingen wollte. Jetzt radelte ich gerade zur Kanzlei, als der Regen losbrach. Die ganze Nacht lang hatte es fern am Horizont gedonnert und die Luft war so drückend schwül geworden, dass man kaum noch atmen konnte. Mein angekipptes Fenster hatte es fast noch schlimmer gemacht. Irgendwo hatten Frösche gequakt, Grillen gezirpt, immer lauter, immer dringlicher, bis ich es nicht mehr ausgehalten und das Fenster wieder zugeknallt hatte. Gefangen in meinem stickigen Zimmer, meinem ehemaligen Symbol der Freiheit, hatte ich auf dem Bett gelegen und den Stuhl beobachtet, den ich seit der Partynacht jeden Abend unter meine Türklinke schob. Sobald er sich bewegte, so hatte ich mir geschworen, würde ich laut anfangen zu schreien. Ein Bild blitzte kurz vor meinem inneren Auge auf – wie ich selbst mit blutverschmierten Klamotten in meinem Zimmer lag. So wie Jette?
    Klitschnass kam ich in der Kanzlei an. Herrn Seibel fiel fast die Kaffeetasse aus der Hand.
    »Du lieber Himmel«, rief er. »Trocknen Sie sich erst mal ab! Haben Sie denn keinen Schirm?«
    »Ich komme doch mit dem Rad«, erwiderte ich.
    »Ach so, natürlich«, murmelte er. »Kaffee?«
    Ich nahm dankbar eine dampfende Tasse entgegen und zwang mich, das bittere Getränk zu schlucken.
    »Frau Wagner hat heute auswärts zu tun«, plauderte er. »Da sind wir nur zu zweit. Wie war denn Ihr Wochenende? Sie sehen mir ein bisschen müde aus. Ach, noch mal so jung sein!«
    Er lächelte mir gutmütig zu.
    Und da fiel meine mühsame Fassade zusammen. Eine Träne rollte mir die Wange hinab. Ich fühlte mich plötzlich unendlich traurig. Wegen Lauren, wegen meines katastrophalen Sommers, wegen Lars, der mir auf einmal so weit weg vorkam wie auf dem Mond, ja sogar wegen Herrn Seibels verlorener Jugend, die schön gewesen sein musste, denn sonst würde er sich ja nicht danach zurücksehen, und in der garantiert keine Mädchen nach einer Party tot im Flur gelegen hatten.
    »Oh, aber was ist denn ... entschuldigen Sie, was habe ich denn ...« Völlig perplex stand er vor mir und streichelte geistesabwesend seine Tasse.
    Ich erzählte ihm alles. Fast alles. Meine komischen Vermutungen behielt ich für mich.
    »Also jetzt gehen Sie um Himmels willen nach Hause, das ist ja entsetzlich«, sagte Herr Seibel immer wieder.
    Ich schüttelte störrisch den Kopf. »Ich will hierbleiben«, sagte ich und sah ihn fest an. »Ich will Akten sortieren, kopieren, was immer es zu tun gibt. Es gibt doch immer was zu tun, oder nicht? Das hat Frau Wagner erst neulich gesagt.«
    Er ließ mich in Ruhe und legte mir eine Liste von Akten hin, die ich heraussuchen, und Telefonnummern, die ich anrufen sollte.
    »Wenn es Ihnen zu viel wird, geben Sie Bescheid«, sagte er behutsam. »Wenn Sie gehen wollen. Oder morgen zu Hause bleiben wollen. Oder ...«
    »Alles okay«, antwortete ich und schenkte ihm ein Lächeln. »Wirklich.«
    Und dann stürzte ich mich auf den ersten Fall. Das Ehepaar Born und ihr Hausbesitzer, meine alten Bekannten. Es

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