Vilm 03 - Das Dickicht (German Edition)
Auge mit dem unheimlichen Tier wiederfand.
Die seltsam verzerrte Katzenfratze schaute ihn aus kaum vierzig Zentimeter Abstand an.
Wenn das jetzt zuschnappt, dachte er, bin ich Futter.
Wie aus weiter Entfernung hörte er seine eigene Stimme, die sagte: »Das willst du doch gar nicht machen. Wahrscheinlich schmecke ich auch noch ausgesprochen scheußlich.«
Nicht zu fassen, dachte er. Ich versuche doch tatsächlich, ein fünfzig Zentner oder mehr wiegendes Raubtier mit dem alten Tut-mir-nichts-ich-bin-doch-so-niedlich-Trick zu besänftigen. Ich muss verrückt geworden sein.
Dann spürte er eine Berührung.
Etwas strich über sein Gesicht.
Der monströse, muskelstrotzende, rotgelb warngemusterte Katzenkaiman leckte den vom Himmel gefallenen Menschen geradezu zärtlich über die Stirn. Seine lange, weiche Zunge, die kein bisschen glitschig oder schmierig war, glitt über seine Augen und seine glatten Wangen. Ein dumpfes, vibrierendes Geräusch drang aus dem Rachen des Wesens.
Len Robinson musste ein hysterisches Kichern unterdrücken. Das sechsbeinige Riesenvieh schnurrte. Und es leckte ihn ab, wie es das vermutlich vor kurzem noch mit seinen getöteten Küken getan hatte – oder seinen Welpen.
Er hob wie unter Zwang die Hand und streckte sie nach vorn, wo dieses entsetzliche Maul mit dieser Unzahl von Zähnen darin war. Er kraulte die Kehle des Ungeheuers. Und er spürte, wie es schnurrte.
Der Katzenkaiman legte sich, immer noch jenes ebenso bedrohliche wie beruhigende Geräusch produzierend, auf die Seite, und sein zweiter Kopf stupste Len von hinten an, so dass der Stationskommandant auf seine Knie stolperte. Das gewaltige Tier wandte ihm seine Bauchseite zu und präsentierte eine Reihe dunkler, fleischiger Knubbel, die aus seinem flaumigen Bauchfell ragten.
Ein würgender Lachreiz begann in Robinsons Gedärm aufzusteigen.
Es ist ein Weibchen, dachte er, es ist die Mutter der zerfetzten Jungtiere, und sie ist irgendwie auf mich als Ersatz verfallen. Ich soll an die Stelle ihrer toten Kinder treten. Langsam übertreibst du es wirklich mit dem Kindchen-Schema, Len, mit dem Bubi-Gesicht und all diesen Seh-ich-nicht-süß-aus-Tricks. Hör damit auf, Robinson, es beginnt, dich in Schwierigkeiten zu bringen.
Das Tier stupste ihn nochmals an. Aus einigen der ... nun ja, man musste die Dinger wohl Zitzen oder Brustwarzen oder so nennen ... trat eine dicke, sämig quellende Substanz hervor. Sie sah nahrhaft aus, aber wenig verlockend.
Sollte er weglaufen? Keine Ahnung.
Len wurde ein weiteres Mal zärtlich angestupst und musste sich mit der Hand an der Bauchwand der Mutter festhalten. Aus allen Zapfstellen ihres enormen Leibes quoll nun, da er ihn berührt hatte, der zähe Nektar, der eigentlich für die Babys bestimmt gewesen war, die Robinsons Gleiter getötet hatte. Vermutlich hatte die Ärmste das dringende Bedürfnis, ihre Babys zu füttern.
Wollte er eines ihrer Babys sein?
Len Robinson zwinkerte.
Plötzlich war alles weg.
In der regengesättigten Luft Vilms gab es keinen Staub, den man hätte aufwirbeln können, aber Matsch und Pflanzenreste flogen durch die Gegend, und Len sprang ungelenk hoch.
Die Kaimankatzenmutter rannte fauchend auf ein paar Wesen zu, die sich über ihr zerstörtes Nest hergemacht hatten. Auch diese Tiere waren Robinson völlig unbekannt; sie waren kleiner als das rotgelbe Monstrum, deutlich gedrungener und trugen ein kurzes, schwarz und dunkelbraun gestreiftes Fell, das aussah wie das eines dunkel eingefärbten Tigers. Und vor allem jagten sie im Rudel. Einige hatten ihre Schnauzen tief in den Resten des Nestes vergraben und verschlangen die zerfetzten Überreste der Babys; zwei stritten sich um einen beinlosen Körper und zerfetzten ihn mit vier Mäulern in kleine Stücke. Die beiden größten gaben sich nicht etwa stumpf dem Fressen hin, sondern bewachten die Mahlzeit ihrer Artgenossen. Oder ihrer Jungtiere?
Es wirkte wie ein aufeinander eingespielter Familienverband, der was Feines zum Fressen entdeckt hatte.
Eine Familie, über die jetzt das Unheil in Gestalt eines völlig entfesselten Katzenkaimans hereinbrach. Den ersten Eindringling bekam die wütende Mutter sofort in eines ihrer Mäuler und biss ihn einfach in der Mitte durch. Aus dem zertrennten Leib schossen Körperflüssigkeiten, und die beiden Körperhälften schnappten im Todeskampf besinnungslos nach allem, was in der Nähe war. Eines der Mäuler erwischte ein Bein seiner eigenen, nun abgetrennten Hälfte und
Weitere Kostenlose Bücher