Vilm 03 - Das Dickicht (German Edition)
zerfleischte es.
Die Artgenossen des getöteten Tieres schleuderten die rotgelben Keulen, an denen sie gekaut hatten, ins nächste Gestrolch und stürzten sich sogleich in den Kampf. Keines von ihnen hatte gegen das katzengesichtige Ungeheuer eine Chance, aber sie hatten den Vorteil der größeren Zahl. Das Kreischen und Knurren der kämpfenden Tiere erfüllte die regenschwere Luft, und es roch nach heißem Blut, zerrissenem Wildtierfell und Raserei.
Len Robinson hatte nicht die geringste Lust, sich das Gemetzel anzusehen oder es hinterher mit den Siegern – oder der Siegerin – zu tun zu bekommen. Er sprintete zurück zu seinem Gleiter, wobei er mehrmals im Schlamm ausglitt und lang hinschlug. So rasch er konnte, kletterte er in das Fahrzeug hinein, verriegelte die Luke und setzte eine Atemmaske auf. Dann wartete er einfach ab, bis sein Herz aufhörte, aus dem Hals springen zu wollen. Er hatte beschlossen, keinen Fuß mehr nach draußen zu setzen. Und er wartete stundenlang ab, bis die Maschine wieder startbereit war.
Er kreiste später mehrmals über der Stelle seines unfreiwilligen Aufenthalts, konnte aber nichts entdecken, was ihn über den Ausgang des Kampfes hätte aufklären können. Wer auch immer gesiegt hatte: Die unterlegene Partei war verspeist worden.
Auf der südlichen Halbkugel sollen rauere Sitten herrschen, heißt es, dachte er. Na, wer hätte das gedacht. Eines ist sicher, Freunde. Wenn der Kommodore in Zukunft Berichte von der Südseite haben will, muss er warten, bis ich welche von den Vilmern kopieren kann.
Als er auf dem Heimflug ein Nickerchen gehalten – und widerwärtige Träume von schwellenden Brustwarzen und Strömen klebriger Sekrete gehabt – hatte, fiel ihm ein, warum er kaum sechs Stunden zuvor dieses letzte, waghalsige Manöver vollführt hatte, das den Gleiter aus der Balance gebracht hatte.
Er hatte gedacht, ein riesiges, rotgelbes Tier in atemberaubendem Tempo zwischen den Gestrolchen entlangschießen zu sehen. Und dann hatte er nachsehen wollen, was das gewesen war.
Nie wieder, Vilm.
Als er am selben Tag gebeten wurde, einem vorüberkommenden Raumschiff für kurze Zeit einen Pilger abzunehmen und auf seiner Station zu beherbergen, stimmte er begeistert zu.
7. Fels und Brandung
»Ich weiß wirklich nicht, was Will sich dabei gedacht hat«, sagte Toronlukas, der sich wie üblich nicht entscheiden konnte.
Er hatte angehalten und starrte auf das Hindernis vor ihnen: Ein fassdickes, von struppigen Ranken umwachsenes Röhricht, das sich langsam bewegte, als pumpe es in seinem Inneren eine zähe Masse empor. Es führte vom schlammigen Boden geradewegs nach oben und verschwand im dichten Regen. Vermutlich mündete es irgendwann in das Wolkengebirge, das von hier aus nicht sichtbar war. In diesem Wetter war kaum was sichtbar.
»Links herum«, sagte Rijo.
Toronlukas gehorchte, froh darüber, dass ihm das Problem gelöst worden war, und griff in die Lenkung. Jojojo grunzte leise. Das war neuerdings ihre Art, Zustimmung auszudrücken.
Sie saßen zu dritt in einer hand- und pfotengesteuerten Version des guten alten Geländekuglers und waren unterwegs, gewissen Unregelmäßigkeiten nachzugehen, die in den Messwerten des Gestrolchs seit einiger Zeit auftraten. Will hatte Rijo zur Chefin bestimmt und Toronlukas zum Steuermann des Fahrzeugs.
Und »damit sie sich wieder ans Leben gewöhnt« war Jojojo mit an Bord. Seitdem sie von ihrer unglückseligen Expedition mit Brink verändert zurückgekehrt war, gab sie allen Rätsel auf, die sie vorher gekannt hatten. Nicht nur, dass das Eingesicht von der südlichen Seite des Äquators kleiner und dunkler war als seine Artgenossen auf dieser Seite, auch ihr Verhalten hatte sich sehr verändert.
Der Kugler umrundete das Röhricht in gebührendem Abstand, schreckte ein Rudel Rehschweine auf, das entsetzt davonstob, und nahm den alten Kurs wieder auf. Toronlukas orientierte sich an der Anzeige und hielt das Fahrzeug exakt auf der vorgesehenen Bahn. Er fürchtete sich ein wenig vor dem Rückweg, denn den sollten sie auf einer anderen, selbstgewählten Strecke zurücklegen.
»Ich finde Wills Gedankengänge dieses Mal sehr offensichtlich«, sagte Rijo. »Jojojo soll sich an das Leben bei uns wieder gewöhnen, und du sollst ihr dabei helfen, weil auch du ein Nachträglich Zusammengesetztes bist.«
Bei der Erinnerung an die sehr schmerzhafte Art, auf die er ins Leben getreten war, verzog Toronlukas-A wie üblich das Gesicht, und sein
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