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Vilm 03 - Das Dickicht (German Edition)

Vilm 03 - Das Dickicht (German Edition)

Titel: Vilm 03 - Das Dickicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Kruschel
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Vollständigkeit. Aber das hatte nichts zu bedeuten.
    Harenbergh hatte gleich nach ihrem ersten Erwachen ein ausgiebiges Gespräch mit ihr geführt, fast zehn Minuten lang. Bei jeder der darauf folgenden Wachphasen hatte sie nicht nur alles vergessen, was seit der schwarztoten Sämlingslinse geschehen war, sondern auch alles, was Harenbergh ihr bereits berichtet hatte. Sie hatte seitdem auch nie wieder für länger als wenige Minuten ihre geistige Gesundheit wiedergefunden.
    Nur wenn Tonja-J das Bewusstsein zurückgewann, jener glattrasierte sechsbeinige Leib im Sauerstoffzelt, fügten sich die beiden Teile dieses Wesens wieder zu einer Persönlichkeit zusammen. Adrian fühlte sich dafür verantwortlich, was Tonja da widerfuhr, denn er war bei ihr gewesen, als sie in die kontaminierte Sämlingslinse hinausgerannt war. Er saß Stunden um Stunden mit ihrem aufflackernden und verlöschenden Teil Tonja-A zusammen. In Gedanken konstruierte er Spürnasen, die man in künftige Kugler einbauen könnte, Warnungen vor Gift und Seuchen, untäuschbare Wächter, die die Luken verschlossen hielten, wenn es draußen bedrohlich war. Es war nur ein bisschen kompliziert, wenn man alle denkbaren und undenkbaren Gefahren ausschließen wollte.
    Menschen brauchten beispielsweise ebenso wie Eingesichter Sauerstoff, um atmen zu können; rein chemisch betrachtet jedoch war freier Sauerstoff ein aggressives Gas.
    Calandra nickte über solchen Gedankengängen ein paar Mal ein.
    Tonja machte, wenn sie wieder in einen ihrer lichten Momente trat, den alten Mann wach.
    »Oh, das war wohl keine gute Idee«, sagte sie dann, oder so etwas Ähnliches.
    Für sie war es ja jedes Mal das erste Erwachen seit dem Zwischenfall in der gestorbenen Sämlingslinse. Adrian erklärte einer immer wieder aufs Neue erstaunten Tonja die Lage der Dinge und bemühte sich vergeblich, die fast identischen Gespräche mit der verletzten Vilmerin nicht zu zählen. Es war ein bisschen so, als erlebe er denselben Tag immer wieder ...
    Irgendwann kam Lukaschik vorbei, nervös und sprunghaft wie immer. Er versuchte, Tonja in die Augen zu sehen, während er um die fließenden Formen der Einrichtung herumschnürte und gelegentlich an Tischbeinen herumknabberte.
    »Lass das bitte, Lukaschik«, sagte Harenbergh dann freundlich, aber bestimmt.
    »Es hat viel Arbeit, gemacht, diesen Häuslebauer genau so und nicht anders heranwachsen zu lassen.«
    Der Nachträglich Zusammengesetzte tat dann immer, als habe man ihm wehgetan, und wälzte sich in einer lächerlichen Zurschaustellung dramatischer Gesten auf dem Boden.
    Harenbergh ignorierte das schlechte Benehmen und fragte Lukaschik-A wieder und wieder, weswegen er gekommen sei. Dass der einen seiner wirklich schlechten Tage hatte, war ihm natürlich klar. Jeder kannte die einander abwechselnden Phasen dieses schwierigen Zeitgenossen, die von Genie bis Idiot reichten und praktisch auch alle Stufen dazwischen abdeckten.
    Bei der dritten Ermahnung streckte Lukaschik-A seinen Körper in einer trotzigen Geste aus.
    »Die Datenbank der Obstsorten«, sagte er dann über-raschend deutlich. »Die komplette Datenbank der wirkstoffhaltigen Früchte im Wolkengebirge. Ich fürchte mich.«
    Er stopfte seinen Körper unter die Sitzbank in der dunkelsten Ecke des Raumes und sah Adrian Harenbergh unbewegt in die Augen.
    »Die komplette Datenbank. Lukaschik hat sie Vincent gegeben, Vincent und Leandro. Leandro ist tot nun, hat man mir gesagt.«
    Der Vilmer musterte die Bewusstlose.
    »Lukaschik hat sie auch Jona gegeben, Jona und Brink. Jetzt habe ich Angst.«
    Harenbergh kämpfte kurz gegen die Irritation an, die von der eigenwilligen Sprechweise erzeugt wurde, und dem ständigen Hin und Her zwischen Ich und Er. Dann begriff der alte Mann.
    »Jona hat dich um diese Datenbank gebeten? Die mit diesen ganzen gruseligen Pflanzen? Und was sie anrichten können?«
    »Hat Lukaschik nicht gebeten«, sagte der Vilmer, mit den Pfoten einen widerwilligen Trommelwirbel schlagend. »Hat sich aufgeregt und ganz viele böse Dinge gesagt, das wollte er nicht hören ... und ich hab mich so gefürchtet vor ihm, und da hat Lukaschik ihm das Zeug gegeben, all die Daten, die auch Leandro und Vincent bekommen haben.«
    Er japste, als hätte er Schwierigkeiten, Luft zu holen.
    »Und Leandro ist tot nun.«
    Harenberghs Gedanken rasten. Seit den seligen Zeiten der Arbeitsgruppe Rätselfrüchte waren viele Jahre vergangen, in denen die Vilmer mit Strolchsaft, Karamelkose,

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