Vintermørket
Familienmitglieder unterhielten. Ich war traurig und wütend zugleich ob Thores Verhalten. Aber Letzteres überwog.
Er ignorierte mich, ich tat es ihm gleich. Sollte er doch denken, was er wollte, wenn er es nicht für nötig befand, mich nach den Gründen zu fragen, warum ich mich nicht mehr gemeldet hatte. Von mir aus konnte er gerne sauer sein, kein Wort mehr mit mir wechseln. Aber ich hatte wenigstens erwartet, dass er verstehen wollte, wieso es dazu gekommen war.
Still, und meinen inneren Aufruhr unterdrückend, biss ich vom Brötchen ab. Taith schaute mich über den Küchentisch unentwegt an, aber ich schüttelte kaum merklich den Kopf. Ich wollte nicht mit ihr reden, auch wenn sie mir sicherlich Verständnis entgegen brächte. Diese Sache ging sie wirklich nichts an.
„Was machst du eigentlich derzeit beruflich?“, fragte Sorcha an mich gewandt und warf mir einen neugierigen Blick zu. Sie konnte es nicht wissen, aber damit begab sie sich thematisch auf Glatteis.
„Ich habe die Firma meines Vaters übernommen.“
„Oh, wie geht es deinen Eltern? Sind sie wohlauf?“
Das konnte man sagen. Wenn man Entschlafen als Frieden betrachtete. Für einen kurzen Moment war ich versucht, die Augen zu schließen, den aufkeimenden Schmerz so zu verdrängen. Aber ich widerstand, stellte mich der unausweichlichen Tatsache. Vor einem halben Jahr war so ziemlich alles aus dem Ruder gelaufen.
„Sie sind tot. Autounfall vor sechs Monaten.“
Bedrückendes Schweigen legte sich über die Anwesenden im Raum. Sorcha schlug sich die Hand vor den Mund und sah mich erschrocken an.
„Lex …“, murmelte sie, aber ich schüttelte wieder nur den Kopf.
„Es ist okay. Ich hatte seit Längerem keinen Kontakt mehr zu ihnen. Man konnte nicht behaupten, dass wir eine Familie gewesen wären.“
„Aber …“
„Lass gut sein, Schatz. Ich denke, dass das ein unpässliches Thema ist. Lex sieht nicht gerade danach aus, als würde er gerne darüber reden“, mischte sich Skor ein. Dankbar lächelte ich ihm schwach zu und widmete mich wieder dem Essen.
Nachdem alle fertig waren, wurde gemeinsam abgeräumt. Anschließend begab ich mich ins Wohnzimmer und gesellte mich zu Skor, der auf dem Sofa saß und eine schwarze Katze streichelte. Seufzend ließ ich mich in den Sitz fallen.
„Wie heißt dieses Wollknäuel?“
Skorlan lachte leise und deutete mit dem Kopf in Richtung Mädchen, die mit Sorcha im Flur standen.
„Von ihnen wird er immer Flauschi genannt. Aber eigentlich hatten wir ihn damals auf Rasmus getauft.“ Zwinkerte er mir zu und ich grinste.
„So so. Der Kater hat es also auch nicht leicht.“
„Sowieso. Das männliche Geschlecht ist hier eindeutig in der Unterzahl und wird von den Weibern immer tyrannisiert.“
„Mein lieber Mann, ich hab das gehört“, ließ Sorcha uns vom Ende des Flurs her wissen und hob drohend den Finger. Skor warf ihr lächelnd einen Luftkuss zu.
„Du weißt, dass ich dich liebe und dein Essen über alles schätze. Ohne dich wäre ich verloren“, rief er ihr zu. Ich grinste still. Die Zwei benahmen sich eindeutig nicht wie ein altes Ehepaar.
Gedanklich klinkte ich mich aus der Konversation und sah aus dem Fenster. Es war dunkel, tiefste Nacht, wie üblich zu dieser Zeit in Norwegen. Leise Schneeflocken flogen gegen das Fenster, rutschten langsam die Scheibe entlang. Die eisigen Himmelssterne sahen aus wie Engelsstaub. Waren Frieden, Stille.
Für einen Moment spürte ich wieder den Anflug von Einsamkeit und Schwärze in mir. Aber dann bildete sich ein kaum wahrnehmbares Lächeln auf den Lippen. Ich hatte keinen Grund dazu, mich in diese Art von Lethargie zu begeben. Ich war endlich hier, musste mich nicht mehr fort sehnen.
„Lex?“
Ich wurde je aus den Gedanken gerissen, als mir Skor einen Ellenbogen in die Seite stieß. Fragend sah er mich an.
„Entschuldige, ich hab dir nicht zugehört“, murmelte ich.
„Das habe ich gemerkt, mein Sohn. Sorcha und die drei Quälgeister möchten heute unbedingt in die Stadt, um ein bisschen Weihnachtsdekoration zu besorgen. Möchtest du mitkommen?“
„Nimm es mir nicht übel, aber ich bin immer noch erschöpft von gestern und würde ungern aus dem Haus gehen. Fahre du doch mit und leiste deiner Frau Gesellschaft.“
„Sie hat mich darum schon gebeten, falls du nicht mitkommen würdest. Also bleibt mir jetzt nichts Anderes
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